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    Wer war das?

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    Der neue Hamburger Koalitionsvertrag sieht eine „Prüfung“ der Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die in vielen Bundesländern bereits gang und gäbe ist, vor. Doch die SPD will das Thema aussitzen.

    In Hamm brennen Autos. Am Bahnhof Wandsbeker Chaussee stürmen Demonstranten gegen Polizeiketten an. Das Eilbektal gleicht zeitweise einer außer Kontrolle geratenen Kampfzone. Diese Situation Anfang Juni 2012 war alles andere als übersichtlich. Und hinterher wurden Vorwürfe laut, brisante Anschuldigungen, die in einer Strafanzeige mündeten: Grundlos soll ein sächsischer Bereitschaftspolizist einen der fast zehntausend Gegendemonstranten mit Tritten und Faustschlägen traktiert haben, die in Wandsbek einen Neonazi-Aufmarsch mit allen Mitteln zu blockieren versuchten.

    Es war nicht die einzige Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt, Paragraf 340 Strafgesetzbuch, die die Dienststelle Interne Ermittlungen erreichte. Der „Tag der deutschen Zukunft“, von Neonazis ausgerufen, wurde zum größten Polizeieinsatz des Jahres, und die Ermittlungsstelle war es nun, die die Amtsvergehen aufklären sollte. Drei Monate später jedoch wurden die Untersuchungen eingestellt. Nicht, weil sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen, sondern weil der sächsische Beamte schlicht nicht identifiziert werden konnte. Ähnliche Fälle könnten sich rund um die Mai-Demos am kommenden Wochenende ereignen.

    Aussichten besser denn je

    Mit einer Senatsanfrage hatte die Linken-Politikerin Christiane Schneider den geschilderten Fall seinerzeit dokumentiert. Seit der Inhalt des rot-grünen Koalitionsvertrages bekannt wurde, wird er wieder interessant. Grund sind drei, im Vergleich zu anderen Vorhaben magere, Zeilen auf Seite 100 des Vertragsentwurfs. „Zügig“ wolle man Gespräche mit den Polizeigewerkschaften aufnehmen, um „zu prüfen, ob und wie eine Kennzeichnungspflicht auch bei der Hamburger Bereitschaftspolizei eingeführt werden kann“, heißt es dort.

    Es ist nicht der erste Vorstoß dieser Art, der in diesem Fall eine klar grüne Handschrift trägt. Die Aussichten, glauben die Befürworter, seien jedoch diesmal besser denn je: Denn warum soll in Hamburg nicht umgesetzt werden, was in anderen Landespolizeien längst Standard ist? Bereitschaftspolizisten in geschlossenen Einsätzen, um die geht es, sind entsprechend ihrer Einheit und der Befehlskette im Einsatz gekennzeichnet: Gruppen-, Zug-, Hundertschaftsführer, Einsatzleiter. In Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein tragen sie zudem einen fünfstelligen Nummerncode, zufallsgeneriert, der dem hinter Helm und Einsatzkluft verborgenen Beamten einen Namen zuordnet, wenn es Ermittlungen erfordern.

    Moderne Polizei müsse Kennzeichnungspflicht akzeptieren

    Zurück geht der Vorstoß im Koalitionsvertrag auf Antje Möller, der innenpolitischen Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion. „Die Diskussion um eine Kennzeichnungspflicht ist mittlerweile jahrzehntealt. Zahlreiche Bundesländer haben sie eingeführt.“ Eine moderne Polizei in unserer Gesellschaft müsse eine solche Kennzeichnung akzeptieren: Der einzelne Handelnde müsse erkennbar werden. Sie berge vor allem Chancen, glaubt Antje Möller: Damit werde es leichter, Vorwürfe zu entkräften. Die Polizei könne ein Signal setzen: Wir haben nichts zu verbergen. „Sie könnte da eigentlich ganz selbstbewusst an die Sache gehen“, sagt Möller.

    Bei FDP und Linken, die in der Vergangenheit selbst bereits entsprechende Anträge eingebracht haben, trifft der Vorstoß auf Zustimmung. Sie fordern eine Regelung, die auch auf Hamburger Boden eingesetzte Polizeikräfte aus anderen Bundesländern einschließt. Der Koalitionspartner SPD hingegen wird mit der grünen Forderung nicht so richtig warm. Man sehe die Notwendigkeit nicht unbedingt, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Innensenator Michael Neumann (SPD) will es sich zudem nicht mit den mächtigen Polizeigewerkschaften verscherzen.

    Ohne Zustimmung der Interessensvertreter der Schutzpolizisten will man möglichst nichts unternehmen, so ist es auf Druck der SPD bereits im Koalitionsvertrag formuliert. Wann oder, um in der Sprache des Koalitionsvertrages zu bleiben, wie zügig das Thema erörtert werden soll, ist noch nicht klar. Termine gäbe es noch nicht, sagt Innenbehörden-Sprecher Frank Reschreiter auf Nachfrage. Und: „Es werden sorgfältige Gespräche geführt und alle, die es angeht, einbezogen.“

    Die Position der Polizeigewerkschaften allerdings ist klar. Sie sind gegen diese Kennzeichnungspflicht, auch in der codierten Form. „90 Prozent aller Polizisten in Uniform tragen bereits ein Namensschild“, sagt Joachim Lenders, Chef der in Hamburg größten Polizeigewerkschaft DPolG. Und fügt hinzu: „freiwillig“. Grundlage ist eine 1995 in Kraft getretene Dienstvereinbarung, die das Tragen von Namensschildern erst möglich machte. Die Vorbehalte seien groß gewesen und die Gewerkschaften hatten sich verpflichtet, ihre Mitglieder zu überzeugen. „Wir sind damals aktiv auf die Beamten zugegangen. Heute ist das Namensschild Selbstverständlichkeit.“

    Mehr Übergriffe auf Polizisten wegen Kennzeichnung?

    Für Einheiten im geschlossenen Einsatz gilt das nicht. Allein die verantwortlichen Einsatzführer tragen Namen offen, sollen Ansprechpartner sein. Alle anderen bleiben im Schutz ihrer Einsatzkleidung bis zu einem gewissen Grad anonym. „Dafür muss man Verständnis haben“, sagt Lenders. „Es gibt Situationen, in denen die Sicherheit von Polizisten vorgeht“: bei Bedrohungslagen, Krawallen, Einsätzen gegen organisierte Kriminalität, gewaltbereite Islamisten.

    Von politisch verordnetem Misstrauen sprechen die Gewerkschaften. Es geht um Grundsätzliches: „Für eine Kennzeichnungspflicht fehlt jede sachliche Begründung“, sagt Gerhard Kirsch, Landeschef der GdP. Polizisten würden als potenzielle Gesetzesbrecher abgestempelt, unter Generalverdacht gestellt. „Die Diskussion lenkt von den eigentlichen Problemen ab.“

    Der Anlass sei schlichtweg falsch, sagt auch Dennis Gladiator, CDU-Innenexperte. Ungeachtet der nur wenigen Fälle habe es seines Wissens „keinen Vorfall mit einem Hamburger Polizisten gegeben, dem nicht entsprechend nachgegangen wurde.“ Er verweist exemplarisch auf einen Vorfall im Januar auf der Steintorbrücke, wo ein Bereitschaftspolizist einen Demonstranten getreten hatte. Dieser habe innerhalb weniger Stunden ermittelt werden können, auch ohne individuelle Kennzeichnung.

    Kritiker wie Martin Herrnkind von Amnesty Polizei, einer Fachgruppe der Menschenrechtsorganisation, glauben hingegen, dass es gerade in geschlossenen Einsätzen zu einer vergleichbar hohen Zahl an Übergriffen von Polizisten komme. Viele von Polizeigewalt Betroffene würden zudem oftmals keine Anzeige stellen. Der Grund, wie eine Studie aufgezeigt habe: Es herrsche die Meinung vor, dass Strafanzeigen gegen Polizisten ohnehin eingestellt würden.

    „Polizist muss Verantwortung für sein Handeln tragen“

    Die Diskussion ist emotional aufgeladen, auch, weil es keine Fallzahlen gibt. Wie viele Verfahren eingestellt werden, weil ein Beamter nicht identifiziert werden konnte, ist unklar. 306 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt führte die Staatsanwaltschaft in 2014 und den ersten beiden Monaten dieses Jahres, wie eine Senatsanfrage der Linken-Politikerin Schneider aufzeigt. 192 wurden eingestellt. Die Gründe dafür wurden statistisch nicht unterschieden. Ob wegen Nichtidentifizierung, mangels Beweisen oder anderer Gründe bleibt im Dunkeln.

    In Berlin, wo die Kennzeichnung 2011 unter einem rot-roten Senat vom Polizeipräsidenten angeordnet wurde, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich: „Jeder Polizist muss Verantwortung für sein hoheitliches Handeln tragen.“ Was aber hat sich mit der Kennzeichnungspflicht verändert? Das Resümee fällt – und bleibt damit im Duktus der Diskussion – erneut ganz unterschiedlich aus. „Sie hat uns geholfen“, sagt Redlich. Wen man im Zweifelsfall ansprechen müsse, sei jetzt schnell klar. Fälle, in denen Polizisten oder ihr privates Umfeld gefährdet waren, weil sie trotz codierter Kennzeichnung identifiziert werden konnten, seien nicht bekannt, sagt Redlich. „Die Zahl der Beschwerden gegen Polizisten hat sogar abgenommen.“

    Die meisten Anzeigen gegen Polizeidienstkräfte würden sich als „Rache-Anzeigen“ herausstellen, sagt hingegen Steve Feldmann von der Gewerkschaft GdP in Berlin. Und damit habe sich dann gar nicht so viel am Stand der Polizei verändert. 2013 seien 484 Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung angezeigt worden. „Lediglich in zwei Fällen stellte das Gericht fest, dass der Tatvorwurf zutrifft.“