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    Begünstigen improvisierte Unterkünfte Gewalt?

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    In diesem Jahr mussten in Hamburg bereits 81 Schlägereien unter Flüchtlingen geschlichtet werden. Jetzt werden ständige Außenposten geprüft. Unterdessen demonstrieren Migranten gegen unbeheizte Zelte. Der Anlass war nichtig und zeigte doch exemplarisch auf, wie blank die Nerven der Flüchtlinge lagen. Frauen und Kinder waren zu ihrem Schutz bereits aus dem ehemaligen Max Bahr-Baumarkt an der Kurt-A.-Körber Chaussee geschickt worden, dann gingen die afghanischen und syrischen Männer mit Stangen und Holzlatten, die aus dem zerstörten Mobiliar der Unterkunft stammten, aufeinander los. 80 Polizisten waren nötig, um die aufgebrachte Masse zu trennen. An einem Schlüssel für die Duschkabinen soll sich die Auseinandersetzung entzündet haben, heißt es in der Antwort auf eine Senatsanfrage des CDU Innenexperten Dennis Gladiator. „Angeblich hatte ein afghanischer Bewohner einen Schlüssel für die Duschkabinen erhalten, um dort abschließen zu können“, heißt es dort. „Einen solchen Schlüssel hatten die syrischen Bewohner bisher nicht erhalten und fühlten sich dadurch zurückgesetzt.“ Fünf Bewohner und drei Sicherheitsleute wurden verletzt. Die Massenschlägerei vom 30. September in der umstrittenen Bergedorfer Unterkunft war nur eine von zahlreichen weiteren Auseinandersetzungen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die nur mit Großaufgeboten der Polizei in den Griff zu bekommen waren. Insgesamt 81 Schlägereien zählt der Senat in einer der „Welt“ vorliegenden Auflistung der Polizeieinsätze für das laufende Jahr auf. Deutlich mehr als bislang bekannt.

    Insgesamt wurde die Polizei seit Januar mehr als 1000 Mal in die 26 bestehenden oder bereits geschlossenen Erstaufnahmeeinrichtungen gerufen: Zu Streits, ausgelösten Brandmeldern, Diebstählen. Sie kamen wegen Verkehrsbehinderungen, Vermisstenanzeigen und Hausfriedensbrüchen. Doch es waren nicht die einfachen Delikte, die die Polizei in Atem hielten, ungeachtet der Masse an Flüchtlingen. Es waren randalierende Personen, Körperverletzungen und eben jene Schlägereien, die immer wieder für Großeinsätze sorgten – und die auch als Gradmesser für die aktuelle Flüchtlingssituation taugen. Je mehr Probleme die Stadt hat, Flüchtlinge angemessen unterzubringen, desto häufiger entladen sich Auseinandersetzungen, wie im benannten Fall. Die Senatsantwort zeigt entsprechend deutlich auf: Seit Anfang September, seitdem die Stadt immer öfter auf unkonventionelle und teils auch unwürdige Unterbringungsmöglichkeiten wie die Messehalle oder ehemalige Baumärkte zurückgriff, vervielfachte sich auch die Zahl der zu schlichtenden Schlägereien. Von den insgesamt 81 großen Schlägereien passierten 34 (über 40 Prozent) allein seit Anfang September. Brennpunkte waren dabei unter anderem die Erstaufnahme am Grellkamp in Langenhorn, die erst Ende August von 500 auf 780 Plätze erweitert wurde, und in der die Polizei vier Schlägereien von September bis Oktober schlichten musste, und die 1500 Plätze umfassende Erstaufnahme in der ehemaligen Globetrotter-Zentrale am Bargkoppelstieg in Rahlstedt, in der fünf Schlägereien in den beiden Wochen vom 23. September bis zum 3. Oktober gezählt wurden. Die meisten Flüchtlinge an der Kurt-A.-Körber Chaussee, die in ihrer Unterkunft seit deren Einrichtung am 23. September bereits vier Schlägereien miterleben mussten, waren zuvor in der Messehalle an der Karolinenstraße untergebracht gewesen. Auch in der Messe hatten sich die Spannungen immer weiter verschärft, die sich kurz vor der Auflösung der Erstaufnahme am 26. September in sechs Schlägereien entluden.

    „Auch die wahrlich nicht optimalen Bedingungen rechtfertigen nicht die Gewaltausbrüche“, kritisierte CDU-Experte Dennis Gladiator. Die hohe Zahl der Einsätze zeige deutlich, dass die Polizei mehr Personal benötige, um den Schutz der Bewohner der Unterkünfte aber auch der Anwohner gewährleisten zu können. Wie die Senatsantwort aufzeigt, wurden bei Schlägereien regelmäßig mehr als zehn, teils auch mehr als 20 Peterwagen-Besatzungen eingesetzt. Die Zunahme an Schlägereien erklärt der Betreiber fördern & wohnen mit der belastenden Unterbringungssituation in Hallen und Zelten. „Die Menschen werden dadurch dünnhäutiger, reizbarer“, sagte Sprecherin Susanne Schwendtke. Aktuell seien in Hamburg etwa 14.000 Menschen in Erstaufnahme. Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, würden improvisierte Standorte geschaffen, die kaum Privatsphäre bieten und in denen begehrte Ressourcen wie etwa Duschen oder Waschmaschinen knapp seien.

    „Viel Zeit verbringen die Menschen mit Warten“, sagte Schwendtke. Durch die extrem hohen Zuzugszahlen verzögerten die Registrierung oder die Auszahlung von Taschengeld. „Das ist derzeit einfach nicht anders machbar. Bei einigen Bewohnern macht sich Enttäuschung breit und eine gereizte Stimmung, in der der dringende Wunsch eines Zeltbewohners nach einem Container-Platz zu einer Schlägerei führen kann. Unter den gegebenen Bedingungen, den weiterhin hohen Zuzugszahlen, ist es für Betreiber äußerst schwierig, die Atmosphäre in den Notaufnahmen nachhaltig zu verbessern.“ Mittlerweile wird geprüft, ob das flexible Einsatzkonzept der Polizei ergänzt werden muss. Hintergrund sind die benannten Einsatzzahlen aber auch Pläne, Großunterkünfte mit 3000 Flüchtlingen zu errichten. An Großstandorten könnte die Polizei künftig Außenposten errichten, um Präsenz zu zeigen und im Bedarf schneller vor Ort zu sein, heißt es aus Behördenkreisen. Bislang wird die Polizei erst aktiv, wie bei anderen Lagen auch, wenn der Sicherheitsdienst oder Bewohner den Notruf wählen. Die Gedankenspiele beschränken sich nach Informationen der „Welt“ auf Container-Wachposten, wie sie bereits zum Schutz jüdischer Einrichtungen oder der Bürgermeisterwohnung aufgestellt wurden, besetzt mit zwei Beamten. Um den Personalkörper der Polizei nicht weiter zu belasten, kann sich die Innenbehörde vorstellen, auf angehende Polizeipensionäre zurückzugreifen, die weiterarbeiten wollen. Mehrere hundert Beamte müssten für eine solche Bewachungsaufgabe gewonnen werden, heißt es, um die Posten rund um die Uhr besetzen zu können. Bei der Polizei sind die Pläne bereits angekommen. Bestätigt werden sie offiziell nicht. „Wir prüfen diverse Einsatzkonzepte abhängig von Standorten und den Zugangszahlen von Flüchtlingen“, erklärte Innenbehörden-Sprecher Frank Reschreiter.

    Bei der Polizeigewerkschaft DPolG stoßen die Überlegungen auf Kritik: „Das ist völlig unausgegorenen“, sagte Landeschef Joachim Lenders (CDU). Wenn die Polizei schneller reagieren wolle, müsse sie dauerhaft mit starken Kräften vor Ort sein. Dies sei allerdings bei der aktuellen Personalsituation nicht leistbar. Ein „Meldekopf“ mit zwei Beamten vor Ort hingegen, die dann auch nur den Notruf wählen würden, mache keinen Sinn. „Das ist durch die Sicherheitsdienste längst gewährleistet.“

    Ungeachtet der bestehenden Herausforderungen werden die niedrigen Temperaturen zu einem immer größeren Problem. Am gestrigen Nachmittag protestierten 100 Flüchtlinge aus der Unterkunft an der Schnackenburgallee friedlich gegen ihre Unterbringung in Zelten. „Wir wollen ein festes Dach über dem Kopf. Ansonsten können wir auch auf dem Rathausplatz schlafen“, erklärte der 24-jährige Jad. Vertreter der Flüchtlinge wurden von Mitgliedern der Grünen im Rathaus empfangen. Fraktionschef Anjes Tjarks und die flüchtlingspolitische Sprecherin Antje Möller erklärten den Asylbewerbern, welche Verbesserungen bei der Flüchtlingsunterbringung geplant seien. „Familien mit Kindern sollen als erste woanders hingebracht werden“, sagte Möller. Sie riet den Flüchtlingen, eine Liste mit besonders schwierigen Fällen zu erstellen. Die Grünen-Abgeordnete bestätigte, dass es kranke Kinder in den Zelten gebe und Menschen auf dem Boden auf Luftmatratzen schlafen müssen. Ziel sei: „Alle aus den Zelten herausbekommen.“