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    Die Welt: Blutprobe: Breite Front gegen Richtereinsatz

    Spitzen von SPD und CDU wollen Richtervorbehalt kippen. Wie dringlich dies ist, belegt das Protokoll eines unfassbaren Falls

    Langwieriges Hickhack zwischen Behörden: Blutprobe hält Polizei und Justiz viele Stunden lang in Atem

    Im Streit über den Richtervorbehalt für Blutentnahmen bei angetrunkenen Autofahrern zeichnet sich in Hamburg eine breite Koalition ab. Spitzenpolitiker der SPD und auch der CDU machen sich für die Anordnung einer Blutprobe ohne Richtereinsatz stark. „Wir unterstützen die Bundesratsinitiative Niedersachsens“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. „Der Richtervorbehalt muss an dieser Stelle weg, er ist eine Förmelei, die keinen rechtsstaatlichen Gewinn hat, aber dazu führt, dass Alkoholsünder leichter davonkommen.“ CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich spricht von einer „unseligen Überbürokratisierung“. Die Zahl der Blutproben war von 2500 in 2009 auf nur noch knapp 1800 im vergangenen Jahr gesunken. „Die Politiker sind jetzt gefordert“, sagt Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Früher hatte die Polizei mit der Begründung „Gefahr im Verzug“ Blutproben nehmen lassen. „Das ist höchstrichterlich gekippt worden. Für eine praktikable Umsetzung brauchen wir jetzt ein neues Gesetz.“

    Ein unfassbarer Fall, der sich erst im Juli in St. Georg zutrug, belegt das Dilemma. Der Vorfall begann gegen 12.30 Uhr in der Bremer Reihe: Polizisten hatten dort ein Auto angehalten, das mit aufheulendem Motor durch die Tempo-30-Zone gefahren war. Am Steuer saß ein Rumäne.

    Nachdem die Beamten von dem Mann sämtliche Papiere bekommen hatten, wurde laut Schilderung beteiligter Polizisten 15 Minuten nach Beginn der Verkehrskontrolle ein Atemalkoholtest durchgeführt. Der Wert betrug 1,09 Promille. Damit lag eine Ordnungswidrigkeit vor. Sprachprobleme konnten die Polizisten zunächst mithilfe der Frau des Autofahrers überbrücken, die dolmetschte. Freiwillig fuhr der Mann mit zur Wache Steindamm, um dort einen sogenannten Evidential-Test durchzuführen. Die dabei genutzten Geräte sind so genau, dass ihr Ergebnis bei Ordnungswidrigkeiten als Beweismittel vor Gericht reicht. Der Rumäne pustete aber ein leicht höheres Ergebnis. 1,16 Promille zeigte das Gerät an. Damit war aus der vermeintlichen Ordnungswidrigkeit eine Straftat geworden.

    Was dann passierte, schilderten die Polizisten so: Der Mann bekommt eine schriftliche Belehrung auf Rumänisch für eine freiwillige Blutprobenentnahme. Er stimmt zu. Beim Lagedienst der Polizei wird die Nummer für den Bereitschafts-Staatsanwalt erfragt. Es geht um die Höhe der Sicherheitsleistung. Mehrfach wird dort angerufen, ohne dass jemand ans Telefon geht. Beim Lagedienst wird die Handynummer des Staatsanwalts erfragt. Der Staatsanwalt will den zuständigen Richter kontaktieren. Dabei kommt heraus: Die vorher gewählte Festnetznummer war falsch. Anruf vom Staatsanwalt: Er braucht die Personalien des betrunkenen Fahrers. Der Anfangsbuchstabe des Nachnamens regelt die Zuständigkeit. Ein Arzt erscheint an der Wache. Der betrunkene Fahrer will nun doch nicht eine freiwillige Blutprobe abgeben. Anruf vom Staatsanwalt: Der Richter möchte den Sachverhalt in Schriftform haben. Der Staatsanwalt erfährt, dass nun doch ein Beschluss zur Blutprobenentnahme nötig ist. Die Polizei bekommt Telefon- und Faxnummer des Richters.

    Gespräch mit dem Richter: Gleichzeitig wird der Sachverhalt gefaxt. Der Richter will sich wieder melden. Die Faxnummer scheint falsch. Der Sachverhalt wurde an die Festnahmestelle der Staatsanwaltschaft gefaxt. Für die Klärung gibt es eine Rückrufnummer. Zehn Minuten geht dort niemand ans Telefon. Die Faxnummer war doch richtig. Die Sekretärin ist auch für den Richter zuständig. Das Fax liegt bereits beim Datenmüll. Der Richter bekommt dennoch das Fax. Der Richter will einen Dolmetscher, um dem betrunkenen Autofahrer rechtliches Gehör anzubieten.

    Ein Dolmetscher ist frühestens in einer Stunde verfügbar. Jetzt wollen Richter und Staatsanwalt wissen, was ein Evidential-Gerät ist. Die Polizisten können nicht alle technischen Details beantworten. Bei einem erneuten Anruf will der Richter wissen, wo der Unterschied zwischen Promillewert und dem Wert Milligramm pro Liter Atemluft ist und ob die Polizisten den Umrechnungsfaktor selbst definiert hätten. Der Dolmetscher trifft ein. Der Richter wird angerufen. Die Polizisten sollen über das Gespräch zwischen Richter und Rumänen ein genaues Protokoll führen.

    Die Polizisten scheitern aufgrund mangelnder Stenofähigkeiten. Richter und Staatsanwalt wollen sich beraten. Mit den Polizisten muss der Dolmetscher warten, der den Beschluss übersetzen soll. Der Dolmetscher verpasst weitere Termine. Die Entscheidung trifft per Fax nach knapp 25 Minuten ein. Die Blutprobenentnahme ist angeordnet. Die Sicherheitsleistung ist auf 900 Euro festgesetzt. Gut für den Alkoholsünder: Er muss für die Straftat weniger Geld hinterlegen, als für die Ordnungswidrigkeit fällig gewesen wäre. Er muss die Kosten für Arzt und Dolmetscher tragen. Um 17.30 Uhr können die Beamten den Vorgang abschließen.