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    Die Welt: Zoff am Zaun

    Wiederholte Proteste gegen Obdachlosen-Absperrung unter einer Brücke auf St. Pauli

    Ausschreitungen nach Spiel des FC St. Pauli, weitere Demonstrationen am Sonnabend und Sonntag

    Polizei geht von weiteren Aktionen dieser Art aus. GAL fordert den Senat auf, gegen den Zaun einzuschreiten

    Die Linke Szene hat ihr neues Thema. Der mehr als 18 000 Euro teure Zaun, den Bezirksamtsleiter Markus Schreiber unter der Kersten-Miles-Brücke aufstellen ließ, mobilisiert offenbar mehr Protest als erwartet. Am Sonnabend und Sonntag kam es zu kleineren Protestkundgebungen. Die Polizei geht davon aus, dass auch in den kommenden Wochen zu dem Thema zahlreiche Aktionen und Demonstrationen stattfinden werden. Bereits am Freitag war dort eine größere Massenkundgebung abgehalten worden. Dabei war, wie schon in der Vergangenheit, im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule gezielt nach Heimspielen des FC St. Pauli mobilisiert worden.

    Rund 150 Menschen kamen am Sonnabend zu dem silbrig glänzenden Metallgitterzaun, der das Areal unterhalb der Brücke absperrt, das von Obdachlosen als Schlafplatz genutzt wurde. Die Demonstranten legten Blumen und Kränze nieder. Rote Friedhofslichter wurden aufgestellt. „Am 19.11.2011 verstarb hier die Hamburger Nächstenliebe“, stand auf einem Spruchband zu lesen. „Der Protest blieb friedlich. Es kam zu keinen Zwischenfällen“, sagt Hauptkommissar Andreas Schöpflin. Auch am Sonntag war dort Protest angesagt. Der Landesverband der Partei Die Linke hatte sich bei einer Kunstaktion eingeklinkt. Rund 50 Teilnehmer wurden erwartet.

    Am Freitag gestaltete sich die Situation für die Polizei schwieriger. Rund 1200 Menschen demonstrierten gegen den Zaun, viele schlossen sich spontan dem Protestzug an. Dabei kam es zu Rangeleien. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot von 950 Beamten im Einsatz war, setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Einsatzkräfte nahmen vier Demonstranten fest.

    Überrascht war die Einsatzführung von der Teilnehmerzahl. Es waren mehr Demonstranten, als die Polizei im Vorfeld erwartet hatte. In einer Lageeinschätzung des Staatsschutzes war von 500 bis 1000 Personen die Rede gewesen, die sich aus den St. Pauli Ultras, Linksautonomen und dem besonders aktiven Teil des Bündnisses Recht auf Stadt zusammensetzen. Ein darüber hinaus gehende Teilnehmerzahl, so die Einschätzung, wäre „einer nicht erwarteten Resonanz aus dem gemäßigten bürgerlichen Spektrum geschuldet“.

    „Das Thema ist geeignet, ein bürgerliches Spektrum zu mobilisieren. Gleichzeitig wird auch das Thema Gentrifizierung berührt, das ebenfalls bürgerliches Protestpotenzial anspricht“, sagt ein Beamter. „Schon deshalb wird man es nicht fallen lassen.“ Das sieht Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, auch so. „Die Szene hat wieder Aufwind. Die gewalttätigen Aktionen gegen die Riverkasematten und ein Café in der Mitte vergangener Woche und die Demonstration am Freitag werden dort sicherlich als großer Erfolg gewertet. Während die Ausschreitungen in der Nacht zum Donnerstag, die ja im Zusammenhang mit einer Räumung in Spanien stand, eher eine einmalige Sache war, ist der Zaun ein thematisches Angebot, das die linke Szene nutzen wird.“ Antje Möller, Innenpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, kann den hohen Mobilisierungsgrad nachvollziehen. „Ich kann den Protest verstehen. Der Zaun ist nach meinem Verständnis rechtlich höchst fragwürdig und menschenverachtend. Es ist ein Unding, so öffentlichen Raum abzusperren.“ Die Maßnahme sei ein Symbol für die gezielte Vertreibung von den Teilen der Bevölkerung, die man nicht haben will. „Ich kann verstehen, dass das viele Menschen aufregt“, sagt die Politikerin. Der Senat müsse jetzt reagieren. Karl Jarchow, innenpolitischer Sprecher der FDP, nannte den Zaunbau „eine martialische, ausgrenzende Maßnahme„.