Polizei schützt Klinik nach Schießerei in Lüneburg
Der brutale Höhepunkt eines Streits zwischen zwei Clans überrascht die Polizei. Es geht um einen Konflikt zwischen Familien aus der Türkei und dem Libanon. Der Oberbürgermeister fordert Konsequenzen.
Polizisten mit Maschinenpistolen sichern den Zugang zum Klinikum Lüneburg, die Straße ist weiträumig abgeriegelt. Die Beamten sollen drei Patienten schützen, die dort seit Sonnabend mit Schussverletzungen behandelt werden – drei Männer, 27, 31 und 51 Jahre alt. Sie waren auf dem Höhepunkt einer Fehde zwischen zwei verfeindeten Familien-Clans niedergeschossen und schwer verletzt worden, vor der Klinik, in aller Öffentlichkeit. Einer der Angreifer ist nach „Welt“-Informationen ein angehender Polizist, der sich bereits im zweiten Dienstjahr befindet. Es wird geprüft, ob gegen ihn ein Dienstenthebungsverfahren eröffnet wird.
Die Auseinandersetzung zwischen den Familien mit türkischen und libanesischen Wurzeln hat die Lüneburger Polizei überrascht. Zwar sind die Clans seit Jahren bekannt. „Doch niemand hat mit so einer Brutalität gerechnet“, sagte ein Polizeibeamter. Fest steht: Die brutale Familienfehde hat Lüneburg geschockt. Mit entschlossener Miene trat Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) unmittelbar nach der Tat vor die Kameras.
Staatsanwaltschaft und Gerichte müssten in diesem Fall ihr Gewaltmonopol mit aller Härte einsetzen. „Solche Gruppen verstehen nur diese Sprache“, sagte Mädge. Es handele sich um „eine neue Qualität der Auseinandersetzung, da hilft auch kein weiterer Sozialarbeiter mehr“. Er habe sich gefühlt wie im falschen Film. „Ein solches Verhalten darf nicht toleriert werden. Streitigkeiten werden rechtsstaatlich gelöst und nicht durch Selbstjustiz.“
Der Fall hatte ein brutales Vorspiel: Bereits am vergangenen Freitag lieferten sich Angehörige beider Familien in einem Fitnessstudio eine blutige Auseinandersetzung, mit Faustschlägen, Fußtritten, Messern, zerschlagenen Glasflaschen und sogar einer Hantelbank. Ein 26-jähriger und ein 28-jähriger Mann mussten schwer verletzt ins Klinikum eingeliefert werden. Vor dem Krankenhaus ging die Schlägerei weiter – die Polizei musste mit einem „massiven Aufgebot“ einschreiten.
„Jagdszenen“ vor der Klinik
Der Höhepunkt der Auseinandersetzung folgte am Sonnabend, als Mitglieder der einen Familie nach einem Besuch ihrer verletzten Angehörigen von Mitgliedern des anderen Clans vor dem Klinik-Eingang abgepasst worden sein sollen. Die Täter sollen dort das Feuer auf drei ihrer Rivalen eröffnet haben. Ein Beamter sprach von einem „gezielten Anschlag“, Augenzeugen berichteten von „Jagdszenen“. Zwei Männer erlitten Oberschenkeldurchschüsse, ein Dritter einen Hüftdurchschuss. Akute Lebensgefahr bestand laut Polizei zu keiner Zeit. Ein 31-Jähriger wurde wenig später festgenommen, musste aber wieder entlassen werden, da ein „dringender Tatverdacht“ nicht bejaht werden konnte, sagte Angelika Klee, Lüneburger Oberstaatsanwältin.
Bei ihm soll es sich um einen Polizeianwärter aus Schleswig-Holstein handeln. Nach den bisherigen Ermittlungen soll er aber nicht geschossen haben. Allerdings werde der Mann verdächtigt, „Beteiligter einer Straftat“ zu sein, sagte Polizeisprecherin Antje Freudenberg auf „Welt“-Anfrage. Ein zweiter, 33 Jahre alte Tatverdächtiger ist weiter auf der Flucht. Man ermittele wegen eines versuchten Tötungsdelikts.
Die Familie, deren Mitglieder mit Schussverletzungen im Krankenhaus liegen, soll nach Angaben der Polizei strafrechtlich mehrfach in Erscheinung getreten sein, unter anderem wegen Gewalt- und Eigentumsdelikten. Seit mindestens 2010 schwelt der Konflikt zwischen den Clans, damit befasst war zeitweise eine (inzwischen aufgelöste) Sonderkommission der Polizei. Bei beiden Familien habe es „Gefährderansprache“ der Beamten gegeben. Die Clan-Oberhäupter seien damals „sehr, sehr deutlich“ auf die Konsequenzen straffälligen Verhaltens hingewiesen worden, sagte Freudenberg.
Einsatzkräfte aus ganz Niedersachsen und Lüneburg
Um einem gewaltsamen Racheakt vorzubeugen, sind Sondereinsatzkräfte aus ganz Niedersachsen am Montag nach Lüneburg beordert worden. Wie lange die Schutzmaßnahmen vor dem Krankenhaus aufrechterhalten werden, sei noch nicht abzusehen, sagte Freudenberg. „Das hängt davon ab, ob nun wirklich Ruhe einkehrt.“ Der Klinikbetrieb läuft unterdessen normal weiter.
Für den Kriminologen Professor Christian Pfeiffer ist die eskalierte Familienfehde Abbild einer „glücklicherweise in Deutschland in den Hintergrund getretenen Männlichkeitskultur“. Innerhalb der archaischen Clan-Strukturen werde „dominante Männlichkeit zelebriert“. Pfeiffer: „Es wird als Schwäche angesehen, wenn man in einem Konflikt nachgibt.“ Joachim Lenders, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), forderte ein rigoroses Vorgehen der Sicherheitsbehörden und der Justiz bei Fehden zwischen Familien-Clans und ethnischen oder religiösen Gruppen. „Jede Art von Selbstjustiz muss bereits im Anfangsstadium konsequent bekämpft werden“, so Lenders.
Auch in Hamburg gab es am Wochenende eine Auseinandersetzung zwischen ethnischen Gruppen. In Wilhelmsburg gerieten bereits am späten Sonnabendnachmittag Angehörige der Sinti und Roma mit Bulgaren aneinander. Die Polizei verhinderte eine Eskalation. Dabei wurden mehrere Schlagwaffen sichergestellt, die rund um den Ort der Auseinandersetzung, dem Stübenplatz, bereitgelegt worden waren. Anschließend war in dem Bereich bis zum frühen Sonntagmorgen Bereitschaftspolizei eingesetzt worden, um die Lage unter Kontrolle zu halten. Ebenfalls in Wilhelmsburg hatte es bereits vor Kurzem Auseinandersetzungen zwischen einer Sinti-Familie und Bulgaren gegeben. Auslöser war eine angebliche Vergewaltigung.