„Wir haben den Randalierern die Straße überlassen“
Die Polizei sagte „weniger Krawalle“ voraus. Dann zerstörten 700 Hooligans in der Schanze Geschäfte, Bars und Banken. Die Ordnungshüter reagierten hilflos
Zerstörte Läden, verstörte Anwohner, verletzte Polizisten. Das von der Polizei als „verhältnismäßig ruhig“ prognostizierte erste Mai-Wochenende endete in einer Orgie der Gewalt. Noch nie wurden in einer Krawallnacht so viele Geschäfte zerstört oder sogar geplündert. Fachleute aus Polizeikreisen sprechen von einer „Katastrophe“ und einem „Versagen auf ganzer Linie“. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) räumte am Sonntag ein, dass sich die „Hoffnung, es würde ruhiger werden, nicht erfüllt“ habe. „Die Prognose war nicht korrekt“, gab Ahlhaus unumwunden zu. Die Polizei hätte zwar richtig eingeschätzt, dass viele Linksautonome nach Berlin gefahren seien, um gegen den Neonazi-Aufmarsch zu demonstrieren. Das Potenzial an „erlebnisorientierten“ Randalierern habe man aber unterschätzt. Sie waren „nicht Teil der Lageeinschätzung“.
Der Senator kündigte Konsequenzen an. „Das Maß ist voll“, sagte Ahlhaus. „Wir werden zukünftig noch mehr auf Festnahmen setzen und uns für härtere Strafen einsetzen.“
Gleichwohl pocht der Innensenator darauf, dass die Beamten im Einsatz „die Sache unter Kontrolle hatten“. Lediglich 30 Beamte wurden in beiden Krawallnächten verletzt.
Auch Polizeisprecher Ralf Meyer räumte ein, dass die von der Polizei abgegebene Prognose „nicht zutreffend“ war. Bis zu 700 „Krawalljugendliche“, die nicht zur linksautonomen Szene gehören, hatten die Sicherheitskräfte nicht auf der Rechnung. Der jüngste Steinewerfer ist erst 13 Jahre alt.
Anwohner zeigten sich schockiert vom Ausmaß der beiden Krawallnächte. Die Deutsche Bank am Schulterblatt liegt in Trümmern. Die Drogerie Rossmann gegenüber, die Haspa neben der Roten Flora, aber auch viele kleinere Geschäfte, wie ein Telefon- und ein Schallplattenladen, wurden demoliert und zum Teil sogar geplündert.
„Die haben unsere Stühle genommen, die draußen standen, und die Beine abgebrochen, um Knüppel zu haben, oder ganze Stühle in die Scheiben geworfen“, sagt ein Wirt, der aus Angst vor gezielten Repressalien lieber nicht mit Namen genannt werden will. Fahrradbesitzer suchten gestern ihre Räder, die ebenfalls durch Scheiben geworfen oder zu Barrikaden verbaut worden waren. Autos mit kaputten Scheiben stehen am Fahrbahnrand.
„Mit unglaublicher Brutalität hat ein randalierender Mob eine Schneise der Verwüstung durch das Schanzenviertel gezogen“, sagt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders. Dabei war schon am Sonnabendnachmittag absehbar gewesen, dass es eine harte Nacht für die Polizei werden würde. Zu der „revolutionären 1.-Mai-Demo“ waren wenig „Revolutionäre“, dafür jede Menge „gewaltorientierte Jugendliche“ gekommen, die ganz offensichtlich dankbar jede Krawallgelegenheit wahrnehmen.
Die Polizei, die mit höchstens 500 Teilnehmern, davon 100 gewaltbereiten, rechnete, sah sich plötzlich 1550 Demonstranten gegenüber, unter denen laut Einsatzprotokoll „kein bürgerliches Klientel war“. Schon hier, so Lenders‘ Kritik, hätte der Leiter des Führungsstabes auf die Situation reagieren und den Großeinsatz gegen Autobrandstifter in dieser Nacht aussetzen müssen. Das tat der Leitende Polizeidirektor Peter Born offenbar nicht.
Die Demonstration endete um 21.24 Uhr am Sternschanzenbahnhof. Drei Minuten später begann die Randale im Viertel. Hektisch wurde eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei mit Hubschraubern aus Berlin eingeflogen. Beamte, die im Einsatz gegen Autobrandstifter Streife fuhren, wurden in die Schanze gelotst. Sie konnten nur noch in Zivil zur Aufklärung eingesetzt werden.
„Hier wurde die Straße den Randalierern überlassen“, sagt Lenders. „Wer alles schützen will, schützt nichts“, tröstet sich ein Polizist. Die, die man nicht schützen konnte, wollen das nicht mehr hinnehmen. „Ich war dabei, als Du am 1. Mai mit Rucksäcken voll Steinen anreistest. Mit Mamas Monatskarte aus der Vorstadt, mit viel billigem Fusel und wenig Ideen im Kopf“, schreibt ein Anwohner in einer Mail über seine nächtlichen Erlebnisse. Das passt zu den nüchternen Zahlen, die für das Mai-Wochenende neben 30 verletzten Polizisten auch 40 Fest- und 29 Ingewahrsamnahmen ausweisen. „Fast alle stammen aus Hamburg oder dem Umland“, sagt Meyer.