Zigeunerkönige – Tschuldigung, darf der das sagen?
Einbruchstatistik, organisierte Kriminalität, Staatsverantwortung: Man hätte bei „Hart aber fair“ so viel diskutieren können. Stattdessen rutschte die Runde in platte Polemik ab.
Was ist bloß mit dieser Sendung passiert? Als die neueste Ausgabe von „Hart aber fair“ etwa eine Stunde alt ist, fragen sich das nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Gäste am Podium. „Wir sind vom Ursprungsthema weggekommen“, klagt der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD). Und auch der Hamburg-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Joachim Lenders ist irritiert und erinnert, warum er eingeladen wurde: „Wir sind heute Abend in der Sendung, weil wir uns um Einbruchskriminalität kümmern wollen.
Stimmt, das war eigentlich der Anlass: Die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland steigt und die ARD widmet der Statistik einen Themenabend. Erst tritt Reinhold Beckmann in einer sehenswerten Reportage auf, interviewt im Kapuzenpulli eine Polizei-Zivilstreife, im Mantel einen Ex-Einbrecher und im Sakko den Innenminister. Danach kommt „Hart aber fair“ mit dem Thema „Ängstliche Bürger, hilflose Polizei: Was schützt gegen Einbruch und Trickbetrug?“.
Neben Reinhold Gall und Joachim Lenders sind Egbert Bülles (pensionierter Oberstaatsanwalt), Fritz Pleitgen (Journalist und Anti-Rassismus-Botschafter) und Irene Mihalic (Grünen-Sprecherin für innere Sicherheit) zu Gast. Oder, um es zugespitzt zu formulieren:
Die Sendung beginnt mit der klassischen Einbruchs-Diskussion, die den Mediendiskurs seit Veröffentlichung der Kriminalitätsstatistiken der Länder bestimmt: Ist es vor allem Aufgabe des Staates, die Bürger vor Tätern zu schützen? Oder liegt die Verantwortung bei den Bürgern, sich mit sündhaft teuren Sicherheitsschlössern, Spezialfenstern und Alarmanlagen selbst zu wappnen? Reinhold Gall nimmt die Bürger in die Pflicht, und wird damit beim Rest der Runde schnell zum Buhmann. „Der Handlungsbedarf liegt doch beim Staat, nicht bei den Bürgern“, wettert zum Beispiel Fritz Pleitgen.
Man könnte das nun vertiefen. Oder über die Pläne der Regierung diskutieren, technische Prävention mit Zuschüssen und Krediten zu fördern. Oder über die Bemühungen des Bundes, mit mehr Polizisten für mehr Sicherheit zu sorgen. Oder darüber, dass die Union härtere Strafen und mehr Überwachung fordert. Stattdessen erteilt Moderator Frank Plasberg einem Einbruchsexperten das Wort.
Der Ex-Knacki Hammed Khamis, Autor des Buches „Ansichten eines Banditen“ mischt das Studio mit Insider-Wissen und flotten Sprüchen auf. Bei seinen Einbruchstouren sei er immer mit einer Flasche Vodka unterwegs gewesen, um bei einer Festnahme mildernde Umstände geltend machen zu können. „Alter Zigeunertrick“, sagt er, und stutzt: „Tschuldigung, darf ich das sagen?“ Gäste, Publikum und Plasberg können sich ihr peinlich berührtes Grinsen kaum verkneifen. Als Khamis anfängt zu erzählen, was Reinhold Beckmann in seiner Doku falsch erklärt habe und wie man wirklich eine Tür aufbreche, unterbricht Plasberg ihn hastig. Schließlich ist das hier eine Talksendung, kein TV-Ratgeber.
Dann lässt Plasberg Khamis noch kurz gegen den Polizeigewerkschaftler Lenders austeilen, bevor er den peinlichen Auftritt abwürgt und Khamis „ein schönes Leben weiterhin“ wünscht.
Schön wird diese Sendung danach nicht mehr. Denn statt um Einbrüche geht es nun nur noch darum, wie viele Straftäter aus dem Ausland kommen und ob man ihre Herkunft nennen darf – oder vielleicht auch muss. Im Prinzip eine wichtige Debatte. Aber spätestens als Ex-Oberstaatsanwalt Bülles alle Menschen, deren Namen auf -ic endet, unter Generalverdacht stellt, ist die Sendung zum Scheitern verurteilt. Das habe jetzt aber ein Geschmäckle, entgegnet Irene Mihalic, deutsche Polizistin mit Migrationshintergrund, säuerlich.
Plasberg lässt dann noch Einspieler laufen, die von ganz schlimm diskriminierenden Fällen erzählen – damit ein Gast seiner Wahl danach betonen kann, wie ganz schlimm diskriminierend dieser Fall sei. Zwischendurch die obligatorische Zwischenfrage: Was sagt das Netz? Das diskutiert über Selbstjustiz. Zurück zum Podium. Da geht es um political correctness – und um „Zigeunerkönige“ (Bülles). Tschuldigung, darf er das sagen?
„Sie wollen diskriminieren und das ist verwerflich“, poltert Fritz Pleitgen gegen Egbert Bülles. SPD-Politiker Gall hält lieber den Mund und versucht nicht aufzufallen. Doch als Plasberg ihn doch noch einmal direkt anspricht, sagt er das eigentlich perfekte Schlusswort: „Die Diskussion bekommt mir hier einen sehr polemischen Charakter.“ Schade, dass das wahre Schlusswort zu diesem Zeitpunkt der Sendung noch lange nicht gesprochen ist.