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    „Polizist zu sein ist manchmal unerträglich“

    Oliver P. wurde bei einem Einsatz Opfer von verbalen und körperlichen Angriffen. Was danach folgte, war fast noch schlimmer

    Als Oliver P. am 3. August 1987 seinen Dienst bei der Hamburger Polizei antrat, war er genau da, wo er immer hinwollte. „Polizist zu sein, das war mein Traumberuf“, sagt der 46-Jährige. „Ich war gern Schutzmann.“ Das ändert sich grundlegend. „Freund und Helfer“, das war für ihn gestern. Heute ist er oft Ziel von verbalen, manchmal körperlichen Attacken. Rückendeckung erfährt er wenig, und vor allem die Justiz enttäuscht das Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). „Polizist zu sein“, sagt er heute, „ist manchmal unerträglich.“

    In einem Peterwagen fahren. Eine nicht alltägliche Aufgabe haben, etwas bewegen – „das war es, warum ich Polizist wurde“, sagt Oliver P. über den Beruf. „Am Anfang hat es auch sehr viel Spaß gemacht.“ Dann kam ein Einsatz im Mai 2006. „Es war in einem Nachtdienst in Harburg. Wir wurden zu einem Lokal gerufen.“ Vor der Tür stand der bereits ausfallend werdende Gastwirt. Zwei betrunkene Gäste mischten sich in das Geschehen ein. Am Ende waren sechs Peterwagenbesatzungen nötig, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Der Einsatz war beendet, der Fall nicht. Es folgte ein Gerichtsverfahren. „Es war für mich das erste Verfahren, in dem man versucht hat, uns als Polizisten zu Schuldigen für die Eskalation zu machen“, erinnert sich der Hauptkommissar. „Es ging während der Verhandlung viel mehr um das Verhalten der Polizei als um die eigentliche Tat. Dieser Einsatz und das anschließende Verfahren waren einschneidende Erlebnisse.“

    Polizisten zu beleidigen, zu bepöbeln, sie als „Blitzableiter“ oder einfach nur günstige Gelegenheit zu nutzen, um sich vor Kumpanen zu produzieren, ist, so die Erfahrung des Polizisten, seit Jahren ein Phänomen, das immer mehr den Alltag belastet. Das zeigt auch eine interne Befragung von 106 Beamten, die jetzt bekannt wurde. Jeder Zweite der Interviewten von ihnen ist mindestens einmal im Dienst Ziel von Gewalt geworden, und nahezu alle Befragten gaben an, dass sich in den vergangenen Jahren das Auftreten ihnen gegenüber negativ verändert hat. „Schon das Erscheinen von uniformierten Beamten ist oft Auslöser verbaler Angriffe“, heißt es in dem schriftlichen Fazit der Autoren der Studie. Und auch das Verhalten der Justiz wird negativ beurteilt: „Die Befragten haben den Eindruck, dass Staatsanwaltschaft und Gerichte derartige Straftaten als normales Beiwerk betrachten.“

    Auch Oliver P. hat solche Erfahrungen gemacht. „Es sind heute schon die geringsten Anlässe, die dazu führen, dass man selbst von völlig Unbeteiligten bepöbelt wird.“ Hält man nach einer Rotlichtfahrt einen Autofahrer an, kommt es schnell zu verbalen Attacken. Werden einem Straftäter Handschellen angelegt, sind von Menschen, die vorbeigehen, unflätige Bemerkungen zu hören. Stark zugenommen haben auch die Probleme mit einer Gruppe, die Oliver P. „Partyvolk“ nennt. „Diese Menschen sind oft betrunken, hoch aggressiv und versuchen im Vorbeigehen Ärger zu provozieren. Auch Frauen und Mädchen, die früher eher mäßigend auf aggressive männliche Begleiter eingewirkt haben, sind jetzt dabei.“ Von der Justiz sieht sich Oliver P. im Stich gelassen, vor allem, wenn es um Beleidigungen geht. „Sie sind also die Polizisten, die sich beleidigt fühlen“, mussten er und sein Kollege sich vor einer Verhandlung vom Staatsanwalt anhören. In einem anderen Verfahren wurde ein Teil des Gehalts als Polizist in Hinblick auf Beleidigungen als „Schmerzensgeld“ tituliert.

    Der endgültige „Knackpunkt“ in seinem Polizistenleben folgte dann am 26. Juni 2010. Es war der Tag, an dem ein Mob in Neuwiedenthal Polizisten angriff. Fünf Beamte wurden teilweise schwer verletzt. Auslöser war die Festnahme eines „Wildpinklers“ durch zwei Polizisten. Oliver P. war damals Dienstgruppenleiter an der zuständigen Wache Neugraben. Den Einsatz hat er als eine „Explosion der Gewalt“ in Erinnerung, bei der alles „ganz schnell“ ging. Er selbst erlitt bei den Auseinandersetzungen, die erst durch ein Großaufgebot der Polizei unter Kontrolle gebracht werden konnte, Schürfwunden und Prellungen. Später im Verfahren wurde bezweifelt, dass er überhaupt verletzt wurde. „Weil ich nicht gleich zum Arzt gegangen war“, sagt der Beamte. Die Verhandlung empfand er als „polizeifeindlich“. Die Staatsanwaltschaft „ermittlungsunwillig“. Am Ende gab es eine Geldstrafe gegen einen 35-Jährigen, der gegenüber Polizisten Morddrohungen ausgesprochen hatte. 100 Euro musste der Mann auf Antrag der Staatsanwaltschaft zahlen. Begründung: „Die Sache soll befriedet werden.“ „Bei Rot über die Ampel fahren kostet 90 Euro“, sagt Oliver P. zum Vergleich. Als er im August seine Urkunde für 25 Jahre im Polizeidienst bekam, hat er sie wütend an den Polizeipräsidenten zurückgeschickt. Auch die damit verbundene Zuwendung über 307 Euro wollte er nicht haben. Oliver P. lehnte das Geld, abzüglich der Abgaben wie Steuer, ab. Die Polizei hatte ein Problem mit den zurückgesandten 220 Euro. Man wusste nicht, wie man das unerwartet eingegangene Geld verbuchen sollte. Mittlerweile ist es als Spende an einen Verein gegangen, der sich um Kinder kümmert, die Opfer eines Verkehrsunfalls wurden.