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    „Rambo-Typen gibt es nur im TV!“ – Interview nach dem Schuss in Buchholz: Polizeigewerkschafter Michael Richter über Training und Realität

    In Krimis und amerikanischen Action-Filmen passiert es ständig: Polizisten zücken ihre Waffe, schießen auf angreifende oder flüchtende Verbrecher. In der deutschen Polizei-Realität ist das eine Seltenheit. Bundesweit haben im vergangenen Jahr Polizisten 36-mal auf Menschen geschossen. Sechs wurden getötet, 15 verletzt: So wie am Montag in Buchholz, als ein Polizist einen bewaffneten und geistig verwirrten Mann mit einem gezielten Schuss in den Oberschenkel außer Gefecht setzte. Die HAN sprachen mit Polizeihauptkommisar Michael Richter, Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft, wie solche Extremsitutationen trainiert werden und welche Spuren sie auch bei den Schützen hinterlassen.

    HAN: Wie können Polizisten eine Situation wie in Buchholz trainieren?

    Michael Richter: Es gibt Rollenspiele, bei denen wir auch so extreme Situationen simulieren. Wir als Trainer haben uns dabei auch schon mal ein Messer an den Hals gehalten, sind auf einen Kollegen zugegangen und haben gesagt: „Schieß doch, Bulle!“. Das Ziel bei den Übungen ist es dann aber immer, darauf hinzuwirken, dass erst gar nicht geschossen werden muss: auf das Gegenüber einzureden, ihn zu beruhigen oder ihn mit Hilfsmitteln wie Pfefferspray oder dem Schlagstock dazu zu bringen, die Waffe fallen zu lassen. Aber offen gesagt: Auf eine so extreme Situation, bei der der Kollege tatsächlich abdrücken muss, kann man niemanden richtig vorbereiten. Das muss alles viel zu schnell gehen. Es kommt ja auch zum Glück sehr selten vor…

    HAN: …hamburgweit im Jahr 2010 nur zweimal.

    Michael Richter: Genau. Es ist eine sehr extreme, aber auch sehr seltene Situation. ES gehört nicht zum Alltag von uns normalen Polizisten. Wir sind keine Spezialeinheit. Hätte sich ein Mann, wie der in Buchholz, zum Beispiel in einer Wohnung verschanzt, dann rufden die Kollegen vor Ort das Mobile Einsatzkommando. Denn die vom MEK trainieren ständig einen solche Situation. Aber dafür war in Buchholz keine Zeit: Der Mann stand offensichtlich unter Drogen und war mitten auf einem öffentlichen Parkplatz.

    HAN: Wie wird entschieden, ob ein Polizist schießt? Zeit für den Befehl eines Vorgesetzten gibt es ja nicht.

    Michael Richter: Der Kollege muss vor Ort und in kürzester Zeit entscheiden. Normalerweise muss ein Polizist den Schuss erst androhen. Aber wenn, wie in Buchholz, plötzlich Gefahr für Leib und Leben entsteht – wenn er seine Waffe hebt -, dann ist keine Zeit mehr für rechtliche Hinweise. Auch wenn es eigenartig klingt: Der Schuss in den Oberschenkel war in diesem Fall das mildeste Mittel.

    HAN: Wie gehen Polizisten nach einem Schuss damit um?

    Michael Richter: Es kommt darauf an. Es gibt Kollegen, die posttraumatische Merkmale zeigen: Es ist wie ein Film, der immer wieder abläuft. Oder sie haben Schlafstörungen. Wird bei einem Schusswaffeneinsatz ein Mensch getötet, dann sind die Symptome noch mehr ausgeprägt. Es gibt Kollegen, die nach einem Schuss nicht mehr dienstfähig waren. Diese Rambo-Typen, die so etwas locker wegstecken, gibt es nur im Fernsehen.

    HAN: Gibt es Betreuung von Seiten der Polizei?

    Michael Richter: Zum einen ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob der Schuss rechtmässig abgegeben wurde. Aber es gibt auch Psychologen, die den Polizisten betreuen. Jeder reagiert zwar anders, aber so etwas muss sicherlich aufgearbeitet werden – in welcher Form auch immer, es hinterlässt Spuren.

    HAN: Haben Sie schonmal die Waffe gezogen und geschossen?

    Michael Richter: Ich war in meiner Laufbahn unter anderem zwölf Jahre Zivilfahnder in der Hamburger Innenstadt. Ich musste mehrfach die Waffe ziehen, aber schießen zum Glück nur einmal. Das war in dern 1980ern auf eine Taxe, die entführt wurde. Der Taxifahrer war kurz zuvor aus dem Wagen geflohen, aber der bewaffnete Täter saß noch drinnen und fuhr davon. Mehrere Polizisten – darunter auch ich – haben dann auf das Fahrzeug geschossen. Der Mann wurde dabei schwer verletzt. Mich hat das nicht so sehr bewegt, aber einer der Schützen neben mir erlitt einen Schock.