Senat schaltet heute Kameras auf der Reeperbahn ab
Einst hochgelobtes Überwachungsprojekt hat nach Urteilsspruch kaum noch Nutzen
Oberverwaltungsgericht hatte verfügt, dass keine Hauseingänge mehr gefilmt werden dürfen.
Doch gerade hier gab es für die Polizei viele Anhaltspunkte
Insgesamt waren 14 Beamte damit beschäftigt, die Bilder der zwölf Kameras auszuwerten
Mit einem Knopfdruck wird heute eine der groß gefeierten Sicherheitsmaßnahmen in Hamburg beendet – dann wird die am 31. März 2006 um exakt 12.27 Uhr gestartete Videoüberwachung auf der Reeperbahn wieder eingestellt. Der Grund ist denkbar einfach: Sie bringt nichts mehr. Seitdem das Oberverwaltungsgericht im Juni 2010 die Möglichkeiten erheblich einschränkte, blickten die eingesetzten Beamten fast nur noch auf schwarze Bildschirme oder besahen sich Szenen, die für Kriminalisten wenig Nutzen hatten. So durften Hauseingänge oder Fensterbereiche nicht mehr aufgenommen werden. Diese Maßnahme könnte der Anfang einer allgemeinen Entwicklung sein. Der Datenschutzbeauftragte der Stadt hat noch viele andere Polizeikameras im Visier, deren Einsatz er einschränken möchte.
Die hohe Zahl der Straftaten auf der nur 980 Meter langen Reeperbahn und den angrenzenden Straßen lieferte der Innenbehörde vor fünf Jahren den Grund für den aufwendigen Technikeinsatz. Zwölf 360-Grad-Kameras mit Zoom-Funktion, Anschaffungspreis insgesamt 620 000 Euro, lieferten Bilder auf eine Großbildleinwand ins Polizeipräsidium, von wo aus per Standleitung die Einsatzkräfte an der Davidwache informiert wurden. 397 Einsätze wurden im ersten Jahr durch Videoüberwachung ausgelöst oder „begleitet“. Die Zahl ist auf exakt 100 Fälle im fünften Überwachungsjahr, das im März 2011 endete, gesunken. „Die Zahl der Einsätze war kontinuierlich rückläufig. Ein besonders großes Absacken gab es im letzten Überwachungsjahr“, sagt ein Beamter. „Der Grund dafür ist eindeutig das Urteil des Oberverwaltungsgerichts.“
Auch die Zahl der Fälle, in denen Bilder der Überwachungskameras für Verfahren als Beweismittel benutzt werden konnten, ging auf einen Tiefststand von 111 zurück. „Seitdem die Videoüberwachung eingeschränkt ist, wurden pro Monat lediglich noch 5,3 Einsätze durch Videoüberwachung ausgelöst. Daran haben auch technische Verbesserungen, die das System anwenderfreundlicher für die Kollegen machen sollten, nichts geändert“, so ein Polizist. Intern ist die Entwicklung so zusammengefasst worden: „Aufgrund der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes vom 22. Juni 2010 ist der räumliche Überwachungsbereich derart eingeschränkt worden, dass die Videoüberwachung der Reeperbahn nicht mehr effizient ist.“ Trotz Ausnutzung sämtlicher technischer Möglichkeiten haben die Beamten festgestellt, dass sie kaum noch etwas per Videoüberwachung feststellen und die Bilder nur noch in Ausnahmefällen als Beweismaterial zu nutzen sind. Fazit: Der personelle Aufwand, bis zu 14 Beamte sind für die Videoüberwachung eingesetzt, ist zu hoch und stehe in keinem akzeptablen Verhältnis zu den Ergebnissen.
Dabei hatte aus Sicht der Polizei das geschnürte Sicherheitspaket für den Kiez, bestehend aus Videoüberwachung, hoher Polizeipräsenz und Flaschenverbot, vor dem Urteil gerade angefangen zu wirken. War nach der Einführung der Videoüberwachung die Zahl der Straftaten von 856 im ersten Jahr auf 979, 1008 und 1236 erwartungsgemäß laut Polizei durch „Dunkelfeldaufhellung“ gestiegen, so wurde im fünften Überwachungsjahr ein starker Rückgang um fast 22 Prozent auf 888 Fälle erfasst. Abgebaut werden die Kameras übrigens nicht. Sie sollen zu besonderen Anlässen wie Veranstaltungen oder Ansammlungen eingeschaltet werden, bei denen Gewalttaten erwartet werden.
Für die Polizei ist das „Kameraproblem“ damit nicht ausgestanden. Mittlerweile sind die Kameras an den Wachen im Visier des Datenschutzes. Sie sind bislang zur Gefahrenabwehr installiert. Das soll in jedem einzelnen Fall überprüft und begründet werden. Ansonsten müssten sie nach anderen rechtlichen Maßstäben eingesetzt werden, die nur in bestimmten Fällen Aufnahmen zulassen. „Sollte das der Fall werden, werden wir uns mit aller Macht dagegen wehren“, sagt Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Hier geht es um konkrete Gefahren sowie den Schutz und die Eigensicherung der Kollegen. Wie nötig das ist, haben der gezielte Angriff auf die Wache Stresemannstraße, bei dem Kollegen in Lebensgefahr waren, gezeigt.“