Wenn Polizisten im Dienst zu Opfern werden
Mehrere Hundert Polizisten werden jedes Jahr im Dienst verletzt. Die Entschädigung bleibt ihnen oft verwehrt, weil die Täter nicht zahlen können. Hamburg will deshalb die Gesetze ändern.
Der Anlass war zu banal, als dass Christian Zietz zunächst überhaupt einen Gedanken darauf verschwendete. „Ein Klassiker“, sagt der 32-Jährige. „Das Thema war für mich schon erledigt, noch bevor der Einsatz richtig begonnen hatte.“ An jenem Wochentag im Juni 2011 werden Zietz und seine Kollegin zu einem Hausfriedensbruch in einem der Autohäuser an der Automeile am Hamburger Offakamp gerufen.
Wenn Schmerzensgeld jahrelang nicht gezahlt wird
Mit einem Stuhl in den Händen, hoch über dem Kopf erhoben und bereit ihn gegen Zietz zu schlagen, hatte sein Gegenüber in dem Autohaus plötzlich vor ihm gestanden, trotz der beiden Dosen Pfefferspray, die der 32-Jährige bereits gegen ihn geleert hatte. „Ich hab ihn zu Boden gebracht.“ Die beiden Männer rangeln, schlagen, wälzen sich auf dem blanken Fliesenboden, auf dem sich sonst die Nobelkarossen spiegeln. „Das passierte mitten am Tag, vor der Laufkundschaft.“ Zietz verspürt einen stechenden Schmerz in der Wade: Mit einem Biss durch den Stoff der blauen Uniformhose versucht sich der Mann aus der Umklammerung des Polizisten zu lösen. Die Zahnreihen zeichnen sich deutlich auf Zietz Haut ab.
„Ich hab schon einige Widerstände erlebt“, sagt der Bereitschaftspolizist. „Aber das war der heftigste. Das war brutal.“ Zietz hat einen blonden Schopf und ein schmales Gesicht, in dem seine eng anliegenden Augen auffallen. Auf dem Küchentisch vor ihm liegt ein Aktenordner. Der Ordner ist bis an den Rand gefüllt: Schreiben seines Anwalts, der Staatsanwaltschaft, des Gerichts. Es ist die Aktenlage eines Falls, der bis heute kein Ende gefunden hat, obwohl das Urteil längst gesprochen ist. 2000 Euro Schmerzensgeld wurden Zietz vom Zivilgericht längst zugesprochen. Doch gesehen hat er bislang keinen Cent, weil der andere nicht zahlen kann – kein Einzelfall, weshalb die Stadt ihre Fürsorgepflicht ausbauen will. Sie will künftig Schmerzensgeldansprüche von Polizisten und Feuerwehrleuten übernehmen, wenn der Täter nicht solvent ist.
Die von der Innenbehörde jüngst vorgestellte Gesetzesänderung wurde einhellig begrüßt. Bis sie allerdings umgesetzt sein wird, kann es noch dauern. In der Innenbehörde rechnet man damit für Anfang kommenden Jahres. Aktuell läuft die Abstimmung zwischen dem Personalamt und den Gewerkschaften und Interessenvertretungen. Eine zweite Senatsfassung würde dann von der Bürgerschaft im Laufe des Jahres beraten und mutmaßlich beschlossen werden. Zweifel gibt es daran eigentlich nicht, waren es doch die Fraktionen der Regierungskoalition, also Rot-Grün, die die Gesetzesänderung beantragt hatten.
Die Angst vor Infektionen
Menschenbisse sind nicht ohne, gefährlicher als Katzen- oder Hundebisse, deutlich infektiöser. Später im UKE wird sein Bein eingegipst. Das soll die Gefahr einer Entzündung mindern. Knapp zwei Wochen setzt er sich Thrombosespritzen, humpelt im Gips, dann kann er wieder zum Dienst. Was bleibt, ist die Angst vor einer Infektion mit HIV oder Hepatitis B. Monate dauert es, fast ein Jahr, bis er Sicherheit hat. Keine Antikörper, kein HIV. „Das hat mich überaus belastet. Ich will nicht wissen, was ist, wenn man mal in eine Drogenspritze fasst.“
630 Polizeibeamte und 24 Feuerwehrleute sind nach offizieller Zählung im vergangenen Jahr Opfer von Angriffen geworden. Die Zahlen, insbesondere bei den Beamten der Berufsfeuerwehr, dürften noch deutlich höher liegen, wie nicht zuletzt die Diskussion um die zahlreichen nicht angezeigten Gewaltvorfälle im Rettungsdienst aufgezeigt hatte. Allein in diesem Jahr gab es bereits mehr als 180 Fälle, in denen Polizisten durch Dritte verletzt wurden, vor allem bei Widerstandshandlungen, sagt Thomas Jungfer, der stellvertretende Landeschef der DPolG. Und: „Es liegt in der Natur der Sache, dass Polizisten aufgrund ihrer Tätigkeit eher angegriffen werden und es deshalb Sicherheit geben muss.“