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Koalition diskutiert Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen

GAL plädiert dafür, ehemalige Lagerinsassen nach Hamburg zu holen – Meinungen in der CDU geteilt – Innensenator hält sich bedeckt

Im schwarz-grünen Senat bahnt sich ein Streit über eine Aufnahme ehemaliger Insassen des US-Gefangenenlagers Guantánamo in Hamburg an. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller, sagte der WELT, sie plädiere dafür, frühere Häftlinge des Lagers in Deutschland aufzunehmen. Auch Hamburg müsse sich dann an der Aufnahme beteiligen. „Entscheidend wird sein, den Bundesländern deutlich zu vermitteln, dass es keine Risiken für sie gibt“, sagte Möller.

CDU-Innenpolitiker André Trepoll dagegen fehlt „jegliches Verständnis“ für diese Aufnahmebereitschaft. „Ich sehe das sehr kritisch und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es in der Fraktion auf breite Zustimmung stößt. Ich sehe keinen Grund, warum Hamburg diese Menschen aufnehmen sollte.“

Auslöser der Diskussion ist ein Bericht der „Bild“-Zeitung, wonach drei der noch 183 Insassen des US-Gefangenenlagers auf Kuba nach Hamburg kommen sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe darüber mit Bürgermeister Ole von Beust gesprochen, so „Bild“. Bei den Männern soll es sich um zwei Palästinenser und einen Syrer handeln.

Senatssprecherin Kristin Breuer dementierte gestern zwar das angebliche Gespräche zwischen Bürgermeister und Kanzlerin: „Weder hat es ein Gespräch zwischen Herrn von Beust und Frau Merkel zu diesem Thema gegeben, noch gibt es eine offizielle Anfrage, noch hat sich der Hamburger Senat damit befasst.“ Zu der Frage, ob eine Aufnahme in Hamburg grundsätzlich denkbar sei, mochte sich jedoch niemand aus dem Senat äußern. Auch Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) beließ es gestern bei der Feststellung, ihm liege keine offizielle Anfrage des Bundes vor.

Inoffiziell verlautete derweil aus der Innenbehörde, dass man von den sehr konkreten Ankündigungen überrascht worden sein. „Dass es da Gespräche gibt, ist ja schon eineinhalb Jahre bekannt“, sagte ein Beamter. „Da ging es aber nicht konkret um Hamburg.“ Ohnehin könne sich die Stadt voraussichtlich nicht gegen den Zuzug von Ex-Guantánamo-Insassen wehren. „Es sind ja keine Asylbewerber. Diese Leute würden eine Duldung bekommen. Damit können sie auch selbst entscheiden, ob sie nach Hamburg wollen oder nicht.“ Mehr noch: In einigen Jahren können sie dann die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Das Hamburg jetzt so konkret ins Spiel gebracht wurde, ist für Insider ein Hinweis darauf, dass es bereits konkrete Äußerungen der Noch-Häftlinge geben könnte, wo sie in Deutschland leben wollen. Hier würden sie zunächst nicht als „Gefährder“ oder Unterstützer der islamistischen Szene eingestuft. „Wir haben über diese Leute keine Informationen. Die Amerikaner werden kaum die Akten über sie mitschicken“, hieß es. Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und früherer Bürgerschaftsabgeordneter der CDU, sagte, er sei „strikt“ gegen eine Aufnahme. „Man kann nicht mal ernsthaft über eine solche Möglichkeit nachdenken“, so Lenders. „Diese Leute hier zu haben birgt Risiken, die wir nicht brauchen können. Wir haben auch so schon genug Problemfälle in der Stadt. Es gibt für ganz Deutschland keinen Grund, amerikanische Gefangene zu nehmen. Vor allem, weil die USA selbst noch keinen der Häftlinge aufgenommen haben.“

Der Hamburger CDU-Partei- und Fraktionschef Frank Schira mochte sich gestern nicht zu einer inhaltlichen Positionierung bei dem Thema durchringen. Bisher sei ja nicht einmal klar, ob Deutschland Guantánamo-Insassen aufnehme, wie viele kämen und wie sie auf die Länder verteilt würden, hieß es aus der Partei. Dabei räumen führende CDU-Mitglieder ein, dass eine Aufnahme vor allem für die eigene Klientel sehr problematisch sei. Nicht alle aber lehnen eine Aufnahme rundweg ab. Der Bürgerschaftsabgeordnete Klaus-Peter Hesse etwa sagte der WELT, es gehe dabei vor allem um Solidarität und gerechte Verteilung auch zwischen den Bundesländern.

SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel verlangte gestern Klarheit. „In dieser für die Menschenrechte und unsere Sicherheit zentralen Frage reichen lauwarme Dementis nicht“, so Dressel. „Hier erwarte ich vom schwarz-grünen Senat und vom Innensenator eine klare Ansage. Der Innensenator ist als Vorsitzender der Innenminister-Konferenz in der Pflicht, die Kakophonie der unionsgeführten Länder zu beenden.“

Schanze droht Krawall-Sommer

Im Schanzenviertelbraut sich was zusammen. Das Straßenfest im vergangenen Jahr wurde zum Symbol für Gewalt und Zerstörung. Dieses Jahr soll das Fest von vornherein verboten werden – die autonome Szene wird das nicht kümmern.

MIt dem angekündigten Verbot zieht Altonas Bezirkschef Jürgen Warmke-Rose (parteilos) die Konsequenz aus dem politischen Ärger von 2009. Werde in diesem Jahr erneut kein offizieller Veranstalter benannt, sei Schluss. Das Amt prüft eine Verfügung, mit der jedes nicht genehmigte Stadtteilfest untersagt werden kann.

Heißt: Meldet sich kein Veranstalter, wird schon der traditionelle Flohmarkt vor dem Fest von der Polizei geräumt.

Mit seinem Vorstoß macht sich Warmke-Rose in seinem Bezirk nicht nur Freunde. Altonaer Politiker befürchten: Sein Befreiungsschlag könnte nach hinten losgehen und die Spirale der Gewalt verschärfen.

Andreas Grutzeck (CDU) kritisiert: „Das ist ein Alleingang, der nicht mit der Politik abgestimmt ist und der ohne Not zur Eskalation beitragen kann.“

Beunruhigt ist auch SPD-Fraktionschef Thomas Adrian: „Diese Entscheidung birgt die Gefahr, die Schanzen-Bewohner in die Arme der gewaltbereiten Hooligans zu treiben.“ CDU-Fraktionsvize Sven Hielscher vermutet, dass Warmke-Rose nicht länger vom Innensenator den Schwarzen Peter für die Ausschreitungen zugeschoben bekommen will. SPD-Innenexperte Andreas Dressel: „Wer so agiert, nimmt einen Krawall-Sommer in Kauf.“

Allein von Joachim Lenders, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, kommt Lob: „Man darf den Chaoten nicht das Spielfeld Schanze überlassen.“

Stürmt der Mob den Frühlings-Dom?

Alarmstufe Rot vor dem St. Pauli-Spiel gegen Rostock. So schätzen Schausteller, Polizei und Experten die Lage ein

St. Pauli gegen Hansa Rostock ­ wenn die beiden Zweitligisten aufeinandertreffen, sorgt das stets für Zündstoff. Das Spiel an diesem Sonntag steht unter besonderer Hochspannung, weil dem Gegner aus Ostdeutschland wegen der befürchteten Krawalle nur 500 Karten zur Verfügung gestellt wurden (MOPO berichtete).

Die hat der Verein aus Protest zurückgewiesen, Fans riefen per Flyer zum Randale-Trip nach Hamburg auf. Vor allem auf dem Dom herrscht nun Nervosität, denn das Volksfest neben dem Stadion haben die Gewaltbereiten speziell im Visier.

„Sonntag 13.12 Uhr ­- Spuk unterm Riesenrad“. Den aufrührerischen Flyer der Rostocker Fans kennt auf dem Heiligengeistfeld jeder. Jeder Imbissbesitzer, jeder Autoscooter-Betreiber, jeder Schießstand-Inhaber. Sie alle sind verunsichert.

„Ich habe Angst“, sagt Bierzelt-Inhaber Thomas Lübcke. Vor allem um seine Zwillinge, zwei 14-jährige Mädchen, die für die Zeit des Frühlingsdoms mit ihm und seiner Frau im Wohnwagen auf dem Platz leben, macht der 42-Jährige sich Sorgen. „Ich werde sie am Sonntag nicht aus dem Wagen lassen.“ Auch Adolf Fischer (73) von „Elektronikschießen Koken“ fühlt sich nicht wohl: „Was da auf uns zukommt, da kann einem angst und bange werden!“

Um eine komplette Eskalation zu verhindern, hat Dom-Referatsleiter Michael Jenke vorgeschlagen, die Schausteller sollten alle beweglichen Gegenstände vor ihren Buden wegräumen, damit sie nicht von den Hooligans als Wurfgeschosse eingesetzt werden können. Thomas Lübcke findet das gut: „Ich werde die Blumenvasen und Aschenbecher reinstellen.“ Adolf Fischer wird die Infrarot-Gewehre auf den Boden legen. Nur Yvonne Vorlop von der „Bowling-Bahn“, die um ihr Geschäft fürchtet, weil am Sonntag vermutlich weniger Menschen auf den Dom kommen, meint: „Es ist nicht unsere Sache, für Sicherheit zu sorgen, sondern die der Polizei.“

Das meint auch Andy Grote (SPD Mitte): „Damit werden die Schausteller verantwortlich gemacht, dabei ist die Polizei zuständig. Der Dom muss in die Bannmeile rund um das Stadion miteinbezogen werden.“ Nach MOPO-Informationen werden rund 250 gewaltbereite Pauli-Fans und 300 bis 500 Hansa-Hooligans erwartet. Hinzu kommen etwa 250 Anhänger des SV Babelsberg 03. Die Potsdamer pflegen aufgrund ähnlicher politischer Ansichten eine Fan-Freundschaft mit dem FC St. Pauli. Sie sollen offenbar bei möglichen Krawallen mit den eher rechten Rostock-Hools „aushelfen“.

„Das ist eine schwierige Situation. Es gibt Anzeichen für eine sogenannte dritte Halbzeit mit Ausschreitungen“, sagt Joachim Lendersvon der Polizeigewerkschaft. Die Polizei wird mit rund 800 Beamten im Einsatz sein.

Am Sonntagnachmittag ist es Rostock-Fans verboten, sich zwischen Schanze, Reeperbahn, Messe und Heiligengeistfeld aufzuhalten. „Da es keine Tickets für Gäste gibt, gibt es für Rostocker Fußball-Fans auch keinen Grund, sich in der Nähe des Millerntors aufzuhalten“, so Polizeisprecher Ralf Meyer. Wer sich nicht daran hält, muss mit Platzverweis und Ingewahrsamnahme rechnen.

Es gibt auch friedliche Signale von der Ostsee. Ex-Hansa-Spieler Stefan Beinlich forderte die Rostocker auf, nicht nach Hamburg zu reisen: „Alles andere wäre mehr als kontraproduktiv.“

Riesenwirbel um Verbotsdrohungen

Zündelt der Bezirks-Chef in der Schanze? Jürgen Warmke-Rose will gegen Straßenfest vorgehen. Alle Parteien sind darüber empört

Kurz nach Mitternacht ließ Altonas Bezirksamtsleiter Jürgen Warmke-Rose (parteilos) die Bombe im „Elysee“-Hotel platzen: Wenn sich auch diesmal beim Schanzenfest kein Veranstalter meldet, will der Bezirkliche Ordnungsdienst das Fest nicht mehr dulden. Seine Drohung: Die Stände der friedlichen Teilnehmer werden abgeräumt. Die CDU ging gestern auf Distanz zu Warmke-Rose.

Auch Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) hörte bei der Veranstaltung der Landespressekonferenz im Hotel „Grand Elysee“ die vollmundige Ankündigung Warmke-Roses, nahm sie offenbar nicht ernst. Gestern ließ seine Pressestelle verlauten, die Innenbehörde wisse von nichts. Bei NDR 90,3 konkretisierte der Bezirkschef dann sein Vorhaben: „Stadtteilfeste ohne Anmeldung und damit auch ohne Verantwortliche vor Ort können nicht mehr geduldet werden.“ Der parteilose Verwaltungschef erklärte weiter: „Aus dem Schanzenfest heraus kommt es ja immer wieder zu unerträglichen Gewaltanwendungen.“ Man habe in den Vorjahren immer wieder versucht, im Vorfeld durch Gespräche Krawalle zu verhindern – ohne Erfolg.

Die CDU in Altona reagierte überrascht. Der Präsident der Bezirksversammlung Altona, Andreas Grutzek: „Das ist ein Alleingang, der nicht abgestimmt ist und ohne Not zur Eskalation beitragen kann.“ Auch die GAL, die in Altona mit der CDU koaliert, distanzierte sich.

Die SPD Altona griff Warmke-Rose scharf an. Fraktionschef Thomas Adrian: „Diese Entscheidung birgt die Gefahr, die Bewohner im Schanzenviertel in die Arme gewaltbereiter Hooligans zu treiben.“ Er forderte einen Runden Tisch, um eine Strategie zu entwickeln, die eine Eskalation wirkungsvoll verhindert. Warmke-Rose dagegen würde nur „Öl ins Feuer gießen“.

Zustimmung bekam Warmke-Rose dagegen von Joachim Lenders, dem Hamburger Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Für die Polizei würde das größere Handlungs- und Rechtssicherheit bringen. Die Chaoten hätten das Problem, dass sie sich nicht mehr hinter den friedlichen Besuchern des Festes verstecken können.“

DNA-Dusche: Hightech-Flüssigkeit markiert Räuber und Einbrecher

Nach großen Erfolgen in Großbritannien wird auch in Hamburg über die Einführung sogenannter DNA-Duschen nachgedacht. Die künstliche DNA schreckt Kriminelle ab.

Großbritannien feiert sie bereits als „Wunderwaffe“ gegen Überfälle: künstliche DNA. Laut Polizei schreckt die synthetische Flüssigkeit die dortigen Kriminellen derart ab, dass die Zahl der Überfälle auf Geschäfte und Tankstellen schlagartig gesunken ist. Jetzt wird auch in Hamburg über die Einführung sogenannter DNA-Duschen nachgedacht.

Das Ganze funktioniert so: Über dem Eingang des Geschäfts wird ein schuhkartongroßer Kasten angebracht. Inhalt: 140 Milliliter künstliche DNA (Info-Kasten). Wird der Laden überfallen, sprühen die am Boden des Kastens installierten Drüsen den flüchtenden Täter mit der farblosen Lösung ein. Die Anlage kann auf zwei Arten scharf gestellt werden: Entweder der Angestellte aktiviert das System per Knopfdruck oder aber das Geschäft verfügt über eine „intelligente Kasse“, die, wenn sie auf einen Schlag komplett entleert wird, automatisch Alarm auslöst.

Die Substanz hält mindestens eine Woche auf der Haut. Der Räuber kann sich so oft waschen, wie er will – die DNA-Spuren bleiben. Sinn der Sache: Die Polizei kann bei der Überprüfung von Verdächtigen mithilfe spezieller UV-Taschenlampen sofort erkennen, ob es sich um den Täter handelt. Selbst wenn der Räuber die Beute längst versteckt oder verprasst hat, kann ihm die Tat nachgewiesen werden.

Die Technik stammt aus England. Nach Polizeiangaben ist dort seit ihrer Einführung im Jahr 2001 die Anzahl der Raubüberfälle in einigen Städten um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. In Deutschland gibt es die Duschen bislang nur in Bremen. Das Bundesland wurde auserkoren, ein Pilotprojekt zu starten. Hintergrund: In keiner anderen deutschen Stadt wird statistisch gesehen so viel eingebrochen und geraubt wie in Bremen. Günther Wiechert vom Bremer LKA: „Die Anlagen haben vor allem präventiven Charakter. Wenn ein potenzieller Täter das Warnschild sieht, überlegt er es sich zwei Mal, ob er einen Raub begeht.“ Zwei besonders von Überfällen geplagte Bremer Tankstellen haben die Duschen seit drei Monaten in Betrieb. „Seitdem hatten wir keinen einzigen Überfall mehr,“ sagt deren Sprecher Willi Winckel.

Auch in Hamburg wird über die Einführung von DNA-Duschen nachgedacht. Joachim Lenders, Hamburg-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Ich halte das für eine revolutionäre Sache und eine tolle Idee. Die Technik ist eine entscheidende Neuerung bei der Beweissicherung.“ Bei der Innenbehörde gibt man sich zurückhaltender. „Wir müssen erst einmal den Abschlussbericht abwarten. Dann sehen wir weiter“, sagt Sprecher Ralf Kunz.

Das Bremer Pilotprojekt läuft noch bis November. Wenig später könnten dann auch in Hamburg die ersten DNA-Duschen montiert werden.

Info:

Künstliche DNA

Künstliche DNA ist eine farb- und geruchlose Substanz, die nur unter ultraviolettem Licht sichtbar wird. Die Flüssigkeit besteht aus Wasser, einem UV-Indikator und künstlicher DNA. Mit dem Erbgut von Lebewesen hat die Labor-Flüssigkeit allerdings nichts gemein. Die Bezeichnung „DNA“ hat lediglich etwas mit der Einzigartigkeit zu tun: Der Code der Flüssigkeit ist in jedem Fläschchen einzigartig und kann so dem Herkunftsort zugeordnet werden. Die Substanz ist nicht gesundheitsschädlich.

Zitat:

„Das ist eine revolutionäre Sache und eine tolle Idee“ J. Lenders, Polizeigewerkschaft

Wenn ein Polizist schießen muss

Wie lebt man mit der Gewissheit, einen Menschen getötet zu haben? Christian S. erzählt seine Geschichte

Einen Menschen zu erschießen, ihm sein Leben zu nehmen – nein, das gehört nicht zu seinem Beruf – auch wenn er im Dienst eine Pistole trägt. Christian S. weiß das. Dennoch ist es ihm passiert. Am 5. März 2009 in einem Treppenhaus an der Hamburger Hochstraße auf St. Pauli. Es war Notwehr. Als Polizist müsse man damit rechnen, sagen ihm Freunde. Doch das hilft nicht. „Man lebt mit dem Bewusstsein, einen Menschen getötet zu haben. Wer das nicht selber erlebt hat, kann das nicht nachvollziehen“, sagt der Polizist.

An den 5. März erinnert sich der Beamte der Davidwache ganz genau. Minutiös schildert er auf der Fachtagung „Gewalt gegen Polizeibeamte“, den die Deutsche Polizeigewerkschaft organisierte, was damals passierte. „Ich war mit einer Kollegin und einer Praktikantin auf den Peterwagen 15/2 eingeteilt“, erzählt er. Gegen 22 Uhr erhielten sie den Einsatzbefehl: In einer Wohnung randalierte ein mit einem Messer bewaffneter Mann. „Auf der Anfahrt haben wir noch den Zusatz bekommen, dass die Person unberechenbar sei, dass sie jeden angreifen würde, der sich ihr nähert“, erinnert sich der 36-Jährige.

Was dann passierte, könne er nur schwer in Worte fassen. Es sei wie in einem schlechten Horrorfilm gewesen. „Die Tür wurde schlagartig aufgerissen. Ein Mann erschien. Er hat nicht gezögert oder auch nur irgendwie inne gehalten. Er ist sofort mit einem hoch erhobenen Fleischermesser auf mich los“, erzählt der Polizist. „Alles was ich noch weiß ist, dass ich die Waffe hochgerissen und mehrfach geschossen habe.“

Der Angreifer brach zusammen. Etwas später, so erzählt er, „lief alles wie durch Watte ab“. Hinzu kam die Angst. „Man hat Angst vor der beruflichen Zukunft, Angst, dass man jetzt vor Gericht gestellt wird.“

Am Tag danach ging Christan S. zum Dienst. Auf viele wirkte das cool. „Aber ich wollte einfach nicht Zuhause sein. Ich wäre die Wände hochgegangen“, erinnert er sich. Die Nächte waren geprägt von Schlaflosigkeit. In den folgenden Monaten durchlebte er den Vorfall vom 5. März in seinen Träumen immer wieder. Jedes Mal wachte er schreiend auf. Heute gehe es ihm wieder so gut, dass er, wie er sagt, „völlig normal arbeiten kann“. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Ein Psychologe half ihm, das Erlebte zu bewältigen. Vielleicht ist es auch die Tonbandaufnahme aus der Polizeieinsatzzentrale, die ihm bewusst macht, dass er nicht anders hätte handeln können. Bis zuletzt hatte der Angreifer eine Beamtin am Hörer. Seine letzte Worte waren: „Jetzt kannst du zuhören, wie ich die Bullen absteche“. Dann fielen die Schüsse.

Allein in diesem Jahr gab es bereits 94 Angriffe auf Hamburger Polizisten. 19 Polizisten wurden verletzt. Vier so schwer, dass sie dienstunfähig sind. Die Angriffe passierten nicht bei gewalttätigen Demos, sondern bei Routineeinsätzen.

„Nachts wache ich schreiend auf“

Christian S. (36) erzählt im Polizeipräsidium vom schlimmsten Tag seines Lebens. Er hat in Notwehr einen Menschen erschossen – und wird damit nicht fertig.

Der 5. März 2009 war der Tag, der das Leben des Polizisten Christian S. für immer veränderte. Es war der Tag, an dem der 36-Jährige auf dem Kiez einen Menschen erschoss. Eindeutig in Notwehr – daran besteht kein Zweifel. Doch der Beamte der Davidwache leidet bis heute unter dem Vorfall, hat Albträume. Gestern sprach er im Polizeipräsidium dazu erstmals vor einem größeren Publikum.

Anlass war die Fachtagung „Gewalt gegen Polizeibeamte“ der Deutschen Polizeigewerkschaft. In den vergangenen zehn Jahren haben sich Gewaltakte gegen Ordnungshüter in Hamburg auf knapp 1200 Delikte jährlich fast verdoppelt. Etwas unsicher, ja verletzlich wirkt der Streifenbeamte, als er die Zuhörer begrüßt: „Schönen guten Tag an alle.“ Als der 36-Jährige den Abend des 5. März schildert, ist es mucksmäuschenstill im überfüllten großen Tagungssaal.

Der Einsatz an der Hamburger Hochstraße war eigentlich Polizei-Alltag: Ein offenbar verwirrter 24-Jähriger hatte über 110 angerufen und seinen Selbstmord angekündigt. Christian S. geht mit einer Kollegin (35) in das Mietshaus. „Wir entschieden uns, Kontakt mit dem Mann aufzunehmen, und klopften. Doch nichts passierte“, so S. Dann sprechen die beiden Polizisten mit einem Nachbarn, als sie plötzlich an der Tür des 24-Jährigen ein Geräusch hören und instinktiv zurückweichen.

Christian S.: „Was dann geschah, ist schwer in Worte zu fassen. Das muss man erlebt haben. Die Tür wurde aufgerissen, und der Mann kam mit einem hoch erhobenen großen Fleischermesser auf uns zugestürmt. Wie in einem Horrorfilm. Alles, was ich noch weiß, ist, dass ich mehrfach geschossen habe und der Mann zusammengebrochen ist.“

Sekundenlang starrt Christian S. den 24-Jährigen an: „Ich hatte Angst, dass er wieder hochkommt.“ Dann blickt der Polizist auf seine Pistole: Sie ist leer geschossen. Er hat acht Mal gefeuert. Vier Kugeln haben den Angreifer getroffen. Ein Treffer in die Brust ist tödlich. Kollegen bringen den Polizisten zur Davidwache. „Ich wollte nicht viel reden, hatte Angst um meine Zukunft. Am nächsten Tag geht er trotzdem wieder zum Dienst: „Ich wollte nicht allein zu Hause sein. Ich wäre dort die Wände hochgegangen.“

Christian S. bekommt Albträume. Immer wieder erschießt er einen Menschen, wacht schreiend auf. Ein Mal träumt er, dass er einen Tankstellenpächter für ein Überraschungsei erschießt. Bekannte reagieren unsensibel. Der Polizist bekommt zu hören, so schlimm sei das doch nicht, das sei doch schließlich sein Beruf. „Das hat mich getroffen. Ich war natürlich froh, überlebt zu haben, doch dann kam die tiefe Traurigkeit dazu, einen erst 24 Jahre alten Menschen getötet zu haben.“ Christian S. wünscht, dass auch die Kollegin geschossen hätte: „Dann hätte ich die Schuld mit jemandem teilen können.“

Im Dienst ist er überängstlich, zieht oft die Pistole, um sich sicherer zu fühlen. Er geht zum Polizei-Psychologen: „Herrn Sch. habe ich es zu verdanken, dass ich heute wieder wie früher meinen Dienst machen kann. Ich bin seit neun Jahren bei der Polizei und hoffe noch auf viele schöne Jahre.“ Es klingt ein wenig wie eine Bitte. Und dann folgt eine Anklage: „Ich hätte mich damals über einen Anruf von der Polizeiführung gefreut, das hätte mir gutgetan.“

Tief betroffen hört Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) den 15-minütigen Vortrag, sagt: „Es zeigt ein Stück Hamburger Polizeikultur, dass Christian S. hier offen über seine Probleme reden kann. Und nicht als Weichei bezeichnet wird, sondern verdienten Beifall für seinen Mut bekommt.“

Hamburger Polizei behält Wache in Cuxhaven

 

Die Hamburger Polizei wird ihre Wache in Cuxhaven behalten. Das hat Innensenator Christoph Ahlhaus gegenüber der Deutschen Polizeigewerkschaft bestätigt. Danach wird die Wache zukünftig ein „Stützpunkt“ sein.

Die Hamburger Polizei wird ihre Wache in Cuxhaven behalten. Das hat Innensenator Christoph Ahlhaus gegenüber der Deutschen Polizeigewerkschaft bestätigt. Danach wird die Wache zukünftig ein „Stützpunkt“ sein. Der Wachbetrieb wird eingestellt. Anzeigen beispielsweise können dort nicht mehr erstattet werden. Auch räumlich will die Polizei sich dort verkleinern. Von den bislang 38 Beamten sollen mindestens 30 in Cuxhaven bleiben.

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist die DPolG mit der Entscheidung zufrieden. „Wir bewerten den Verbleib von rund 30 Stellen am Standort Cuxhaven als Erfolg und vor dem Hintergrund des Senatsbeschlusses als soziale Lösung im Sinne der Mitarbeiter“, sagt der Landesvorsitzende Joachim Lenders. Das Wasserschutzrevier Cuxhaven sollte ursprünglich aufgegeben werden, um so im Rahmen der Sparmaßnahmen vom Jahr 2012 an mindestens eine Million Euro im Jahr weniger auszugeben.

Polizisten sauer über das „Kopf-Kondom“

Kopfbedeckung: Gewerkschaft will eine Wollmütze, der Polizeipräsident beharrt auf einer Fleece-Kappe, auch „Kopf-Kondom“ genannt.

Es ist kalt, auch die 5000 Hamburger Streifenpolizisten frieren. Darüber herrscht Einigkeit zwischen Polizeipräsident Werner Jantosch und Klaus Vöge, dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Doch darüber, wie die Ohren der Ordnungshüter warm gehalten werden sollen, ist es zu einem skurrilen Mützenkrieg gekommen: Die Gewerkschaft will eine Wollmütze, doch Jantosch beharrt auf einer Fleece-Kappe, die die Beamten abschätzig als „Kopf-Kondom“ bezeichnen.

Widerwillig stülpt sich Klaus Vöge das „Kopf-Kondom“ über. Dann setzt der 50-jährige Hauptkommissar seine Dienstmütze drüber. Nein, toll sieht das wirklich nicht aus. Der Hauptkommissar: „Wir machen uns damit zum Gespött der Öffentlichkeit. Die Einführung dieses Teils ist an Schwachsinn nicht zu überbieten.“

Neben der Geschmacksfrage gibt es auch einen handfesten Grund, die Fleece-Kappe abzulehnen. Vöge: „Das Ding trägt auf, die Dienstmütze passt nicht mehr. Viele Kollegen haben sich deswegen schon eine zweite Dienstmütze anschaffen müssen.“ Oder sie haben sich verbotenerweise bereits die Wollmütze mit Polizeistern besorgt. Das Teil ist in fast allen Bundesländern in Gebrauch. Nur Hamburgs Polizeipräsident Werner Jantosch lehnt es strikt ab. Sein Sprecher Andreas Schöpflin: „Das Mützenproblem ist keines. Wir haben uns einvernehmlich mit dem Personalrat geeinigt. Im Übrigen ist die Unterziehmütze weltweit bei diversen Polizeien eingeführt.“

Kurios: Wasserschützer auf Booten, die Bereitschaftspolizei bei Großeinsätzen und Schutzleute im Wachdienst brauchen das „Kopf-Kondom“ nicht überzuziehen. Sie dürfen die Wollmütze tragen. Die hat gegenüber der Unterziehmütze einen weiteren Vorteil: Sie ist mit knapp sechs Euro gegenüber 25,90 Euro fürs „Kopf-Kondom“ deutlich billiger.

Glasflaschenverbot auf der Reeperbahn zeigt keine Wirkung

Zahl der Gewaltdelikte auf St. Pauli verharrt auf hohem Niveau – Nur moderater Rückgang durch Kälte – Senat hält an Strategie fest – SPD hakt mit Anfrage nach

Die Zahl der Gewaltdelikte ist nach Einführung des Glasflaschenverbots auf dem Kiez nicht signifikant zurückgegangen. Das geht aus einer internen Erhebung der Polizei hervor. Damit steht die Wirksamkeit dieses Instruments, aber auch die Sicherheit auf St. Pauli erneut zur Debatte.

Nach den Daten wurden in den knapp vier Monaten vor der Einführung laut Statistik 2,32 Gewalttaten pro Tag gezählt. Im letzten Quartal 2009 waren es täglich 2,09 Taten. Experten gehen davon aus, dass der minimale Rückgang eher auf die kalte Witterung denn auf die Gesetzesänderung zurückzuführen ist.

Auch auf die Zahl der Raubüberfälle hat die Einführung des Glasflaschenverbots offenbar keine Auswirkung gehabt. Waren es in den Monaten vor der Einführung statistisch 0,77 Taten pro Tag, stieg die Zahl im letzten Quartal 2009 die Zahl leicht auf 0,8 Taten an.

Die Fälle träten konzentriert auf, wie ein Polizeibeamter erklärt. Allein an den Wochenenden würden rund 75 Prozent aller Gewalttaten verübt; die meisten davon in der Nacht von Sonnabend auf den Sonntag. Der Dienstag sei der ruhigste Tag für die Polizei. Bereits am Donnerstagabend sei ein Anstieg der Taten zu beobachten. Einen erheblichen Einfluss auf die Lage hat auch das strenge Winterwetter. Im letzten Quartal zählte die Polizei 192 Gewalttaten auf dem Kiez. Im Dezember begann dann die Kälteperiode. „Die Entwicklung hält an. Die Leute halten sich hauptsächlich in den Clubs auf, in denen es eine gute Security gibt“, so der Polizist. Auf der Straße sei dagegen wenig los. „Man muss aber auch feststellen, dass das Glasflaschenverbot akzeptiert wird“, so der Beamte. An den Zugängen der Verbotszone würden sich regelmäßig Glasflaschen in großer Zahl finden, die dort von Kiezbummlern abgestellt wurden.

„Die Verbote von Waffen- und Glasflaschen auf dem Kiez oder Maßnahmen wie die Videoüberwachung im öffentlichen Raum sind richtig und gut“, sagt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders. Die Zahl der Taten sage nichts über deren „Qualität“ aus. „Gerade abgebrochene Flaschenhälse können schwerste Verletzungen verursachen“, so Lenders. „Wenn sie weniger eingesetzt werden, ist das ein Erfolg.“ Die Entwicklung zeige aber sehr deutlich, dass der Kiez ein Brennpunkt bleibe. Lenders streicht heraus, dass neue Verbote, die überwacht und geahndet werden müssten, keinesfalls dazu genutzt werden dürften, Personal abzuziehen.

Die Innenbehörde hält die Daten für eine „Momentaufnahme“, die analysiert werden müsse, so Sprecher Frank Reschreiter. „Im Bereich Gewaltkriminalität lassen wir nicht nach. Das Glasflaschenverbot sollte seinen Beitrag leisten, es ist ein sinnvolles Instrument, das in das Maßnahmenpaket aus Videoüberwachung, Waffentrageverbot, intensiveren Kontrollen und hoher Polizeipräsenz gehört.“

Bei der Polizei kann man den Trend noch nicht bestätigen. „Die Auswertung für die Jahresstatistik ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Polizeisprecher Ralf Meyer. Es deute sich aber an, dass die Zahl der Gewaltdelikte über das Jahr 2009 gesehen leicht ansteige. Das habe auch mit der hohen Polizeipräsenz auf dem Kiez zu tun. Das Dunkelfeld werde aufgehellt.

Das sieht Lenders genauso. „Viele Taten, gerade die leichteren, wurden früher der Polizei nicht bekannt. Einerseits werden durch die Beamten selbst Fälle festgestellt. Andererseits ist die Anzeigebereitschaft höher, wenn man, wie auf dem Kiez, schnell einem Polizisten begegnet“, so Lenders.

Ein halbes Jahr nach Einführung des Glasflaschenverbots bemängelt die SPD, dass es keine Evaluation des Gesetzes gibt. Erst zum Sommer 2011 soll eine solche Überprüfung vorgenommen werden. Dem SPD-Innenexperten Andreas Dressel reicht das nicht, er hat aufgrund der neuen Daten eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt. „Die Zahlen zeigen: Verbotsmaßnahmen müssen auch mit Leben gefüllt werden, auf dem Kiez muss eine hohe Polizeipräsenz gehalten werden. Die Gewalt geht dort nicht zurück.“

Polizeigewerkschaft gegen Zentralstelle für Bürgerrechte

Eine neue Stelle, die die Einhaltung der Bürgerrechte vonseiten staatlicher Organe überwachen soll, steht kurz vor der Einrichtung. Sie soll an der Senatskanzlei angesiedelt werden. GAL-Innenpolitikerin Antje Möller bestätigt, dass der Koalitionsvertrag in diesem Punkt umgesetzt wird. 

Eine neue Stelle, die die Einhaltung der Bürgerrechte vonseiten staatlicher Organe überwachen soll, steht kurz vor der Einrichtung. Sie soll an der Senatskanzlei angesiedelt werden. GAL-Innenpolitikerin Antje Möller bestätigt, dass der Koalitionsvertrag in diesem Punkt umgesetzt wird. Die neue „Zentralstelle für Bürgerrechte und Transparenz“ ist nicht unumstritten: Als „verkappte Polizeikommission“ bezeichnet Joachim Lenders von der Deutschen Polizeigewerkschaft die Einrichtung. „Wenn man so etwas will, sollte man es auch beim Namen nennen und nicht mit grünem Anstrich als etwas Neues verkaufen.“ Rund 270 000 Euro Steuergeld soll laut Lenders die Einrichtung jährlich kosten. Möller widerspricht der Kritik. Sie legt Wert darauf, dass die Stelle keineswegs die Polizei, sondern die Arbeit sämtlicher Behörden und Ämter im Auge behalte.