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Die Welt: „Nicht mehr Herr der Lage“

Kurzzeitig erschien es in diesem Jahr so, als könnten die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen die Auto-Brandstifter erfolgreich sein – doch die Gesamtbilanz ist verheerend

Weit mehr als 300 Fahrzeuge wurden 2011 bereits zerstört oder beschädigt

Polizei setzt weiter auf Prävention durch gezieltes Ansprechen von potenziellen Tätern

Das Anfang des Jahres eingeführte Konzept der Polizei zur Bekämpfung von Autobrandstiftungen – es muss wohl als Flop bezeichnet werden. In diesem Jahr wurden bereits 280 Fahrzeuge im Hamburger Stadtgebiet angesteckt. Damit könnte bis zum Jahresende die bislang unerreichte Marke von 300 Brandstiftungen an Autos überschritten werden. Und die Täter sind weiterhin kaum zu fassen, nur in vereinzelten Fällen gab es Festnahmen. Ein Ende der mittlerweile zum Massendelikt gewordenen Autobrandstiftungen ist nicht absehbar; Experten gehen davon aus, dass es auch in den kommenden Jahren ein Problem bleibt.

Im Sommer hatte es noch gut ausgesehen, nachdem die Polizei die Strategie geändert hatte. Statt auf Präsenz wurde auf sogenannte Gefährderansprachen gesetzt, bei denen potenzielle Tätergruppen gewarnt wurden. Das Konzept schien aufzugehen. Nach einem feurigen Frühling, der seinen Höhepunkt in der Nacht zum 2. Mai erreichte, als 18 Autos völlig oder teilweise durch Feuer zerstört wurden, folgte ein deutlich ruhigerer Sommer. Die Zahl der Autobrände ging von Juni an drastisch zurück. „Die Taten in den ersten Monaten des Jahres waren schwerpunktmäßig in zwei Bereichen Hamburgs verübt worden. Dadurch konnte man sehr gezielt Verdächtige ansprechen und ihnen vermitteln, dass man sie unter Beobachtung hat“, so ein Beamter. Offenbar hatte man damals die Richtigen angesprochen.

Mittlerweile ist der Effekt jedoch verpufft. Seit Mitte Oktober brennen Autos wieder regelmäßig lichterloh in Hamburg. Waren Anfang 2011 noch die Bereiche rund um Lurup und der Nordosten Hamburgs besonders betroffen, entwickelte sich der Bereich Altona in den vergangenen Monaten zu einem neuen „Brennpunkt“. „Man kann davon ausgehen, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der Taten auf ‚anpolitisierte‘ Jugendliche geht, die sich der der linken Szene zugehörig fühlen“, so der Polizist.

Darüber, wie lässig diese Taten verübt werden, können sich Ordnungshüter aktuell im Intranet der Polizei Bilder einer Überwachungskamera ansehen. Sie zeigen einen dunkel gekleideten Jugendlichen, der von Auto zu Auto schlendert und plötzlich Feuer legt. Für eine Fahndung taugt das Material nicht. Auch dieser Täter dürfte, wie fast alle Autobrandstifter, ungeschoren davonkommen. „Man muss leider feststellen, dass man letztendlich nicht Herr der Lage geworden ist“, sagt Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Dabei hatte die Polizei alle Register gezogen. Der Polizeihubschrauber mit seiner Wärmebildkamera schwebte als „fliegendes Auge“ über dem nächtlichen Hamburg. Das zeigte ebenso wenig Wirkung wie die hohe Belohnung von 20 000 Euro, die für die Ergreifung von Autobrandstiftern ausgesetzt wurde. Lenders: „Man kann nur auf die Justiz hoffen, die bei der Verurteilung von überführten Autobrandstiftern ein klares Signal setzt. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass dieses Phänomen noch die kommenden Jahre die Hamburger belasten wird.“ Dafür spricht auch die Statistik. Die Zahl der Autobrände, die lange Jahre um die 100 Fälle lag, schnellte 2009 auf 185 und 2010 auf sogar 297 hoch.

Was die Statistik verschweigt: Die Zahl der Geschädigten ist weitaus höher. So wurden 2011 bislang zwar 280 Autos angesteckt, de facto gibt es aber um die 350 geschädigte Fahrzeughalter. Die mehr als 70 Fahrzeuge, die als „Kollateralschäden“ durch Flammen und Hitze beschädigt wurden, sind in der Statistik nicht berücksichtigt.

Mopo: Ziehen die Schwerverbrecher nächste Woche nach Jenfeld?

Trotz Anwohner-Protesten versuchen die Behörden, ihren Plan durchzusetzen – die Unterbringung von Ex-Sicherungsverwahrten in Jenfeld entwickelt sich zu einer schier unlösbaren Aufgabe.

Der Mietvertrag für Sex-Gangster Hans-Peter W. und Totschläger Karsten D. gilt nach MOPO-Informationen eigentlich ab dem 15. Dezember – nächste Woche wäre also Schlüsselübergabe. Ob die beiden uneventuell schon ein dritter Mann (ebenfalls ein Sex-Verbrecher) aber überhaupt in den gelben Klinkerbau in der Straße Elfsaal (Jenfeld) einziehen, ist fraglich.

„Sie werden scheitern. Wir machen Ihnen die Hölle heiß“, drohte ein Anwohner auf der Info-Veranstaltung am Dienstag in der Bundeswehr-Uni.

Drei Senatoren stellten dort ihre Pläne vor – und ernteten Kritik, Wut und Hohn. „Sie diskutieren nicht, Sie bestimmen“, wurde ihnen vorgeworfen. Die verängstigten Anwohner fürchten um ihr Wohl und das ihrer Kinder.

Noch auswegloser stellt sich die Situation dar, seit bekannt wurde, dass die beiden Schwerverbrecher gar nicht nach Jenfeld ziehen wollen. Sie fühlen sich dort wie im „Zoo“ und fürchten Proteste der Anwohner.

Allen Problemen zum Trotz – die Justizbehörde geht davon aus, dass sich der Aufruhr vor Ort legen wird – und hält an ihrem Plan fest.

Urs Tabbert, Fachsprecher Justiz der SPD, sagt: „Der Senat hat einen Vorschlag gemacht – und es ist klar: Eine Lösung, die überall auf Zustimmung stößt, gibt es dabei nicht.“ Allen Kritikern müsse bei dieser schwierigen Materie klar sein, dass man die ehemaligen Sicherungsverwahrten rechtlich nicht zum Bezug einer Einrichtung zwingen kann.

Gibt es wirkliche Alternativen zur aktuell verfahrenen Situation? Die MOPO fragte Viviane Spethmann, CDU-Fachsprecherin Justiz, Polizeigewerkschafts-Boss Joachim Lenders und den Anwalt von Hans-Peter W. und Karsten D., Ernst Medecke, wie sie das Problem lösen würden:

„Die Polizei hat damit nichts zu tun“

Joachim Lenders, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Entweder, es gibt ein Gutachten, das besagt, dass diese Personen gemeingefährlich sind und eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen – dann gehören sie weggesperrt. Dann kann man sie nicht in ein Haus in ein Wohngebiet stecken, das dafür überhaupt nicht geeignet ist. Dann muss es eine geschlossene Unterkunft wie das Haus 18 in Ochsenzoll sein. Wenn es so ein Gutachten aber nicht gibt – und so sieht das ja in diesem Fall aus – dann frage ich mich, warum man sie gemeinsam an einem Ort und unter strenger Bewachung haben will. Auf gefühlte Gefahr darf man nicht so reagieren. Dann müssen die beiden freigelassen werden, sich in der Stadt eine Wohnung suchen dürfen und psychologisch betreut werden. Aber die Polizei hat dann damit nichts zu tun. Ein Mittelding, so wie wir es jetzt erleben, ist nicht nachvollziehbar.“

„Die Einrichtung darf kein ‚Zoo‘ sein“

Viviane Spethmann, CDU-Fachsprecherin Justiz: „Ich würde im norddeutschen Verbund für die ehemals Sicherungsverwahrten nach einer eigenen Anlage suchen. Weit weg von Wohnbebauung müsste man Unterkünfte finden, die bewacht werden und wo sie sozialtherapeutisch betreut werden. Es sind im Prinzip freie Menschen – aber Menschen, die langsam wieder an die Gesellschaft herangeführt werden müssen. Die kennen kein Handy, keinen Euro, keine Ticketschalter im ÖPNV. Gleichwohl haben Gutachter attestiert, dass eine hohe Rückfallgefahr besteht. Hier muss der Senat handeln und potenzielle Opfer schützen. Deswegen gilt es, eine Einrichtung zu schaffen, die ehemals Sicherungsverwahrten eine Unterkunft bietet, aber auch die nötigen Polizeikräfte für die Bewachung bündelt. Die Einrichtung muss attraktiv sein und kein ‚Zoo‘.“

 „Der Standort in Jenfeld ist verbrannt“

 Anwalt Ernst Medecke: „Der Standort in Jenfeld ist seit Dienstag verbrannt. Die Senatoren waren auf der Informationsveranstaltung zu schlecht vorbereitet. Ich will aber auch nicht ausschließen, dass es anders gekommen wäre, wenn sie besser vorbereitet gewesen wären. Herrn D. würde ich die Möglichkeit geben, dort zu bleiben, wo er ist. Er ist in der Einrichtung sozialtherapeutisch eingebunden, hat dort einen unbefristeten Mietvertrag und es gibt keinen Druck, daran etwas zu ändern. Bei Herrn W. ist die Lage anders. Da muss man auf Länderebene eine Lösung finden. Der Eulenhof in Wewelsfleth, über den 2010 diskutiert wurde, war perfekt. Leider wurde das Projekt von Herrn Ahlhaus und Herrn Carstensen beerdigt. Der Eulenhof hätte auch für Herrn D. gepasst. Es sind beides naturverbundene Menschen, Herr D. ist in der Anstalt Gärtner-Tätigkeiten nachgegangen. Der Einzug da draußen wäre ideal gewesen – es wird sich aber wieder so etwas finden.“

Welt: Polizei: Kritik an später Fahndung

Veröffentlichung von Fotos erfolgte erst nach Monaten

Drei Monate war es her, dass in Neuwiedenthal ein 18-Jährige krankenhausreif geprügelt wurde. Der Täter wurde von Überwachungskameras gefilmt. Doch erst am Dienstag veröffentlichte die Polizei die Fotos. Mit verblüffendem Erfolg. Schon wenige Stunden später erschien ein 19-Jähriger im Polizeipräsidium mit seinen Eltern und stellte sich. Sein Vater hatte die Öffentlichkeitsfahndung im Internet gesehen und den Sohn erkannt. Der Erfolg ist kein Einzelfall. Am Tag zuvor stellte sich ein 22-Jähriger einen Tag nach der Veröffentlichung von Bildern, die ihn und seine Komplizen zeigen, nachdem sie im S-Bahnhof Berliner Tor einen Mann schwer verletzt hatten.

Diese Täter hätte man schon viel früher ermitteln können, meint Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). „Ich kann bis heute nicht verstehen, warum man sich mit der Öffentlichkeitsfahndung so schwer tut. Vor allem, wenn es bereits ein sehr klares Bild vom Tatgeschehen gibt und es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den Täter handelt“, so Lenders. Bei den Fällen ginge es um schwere Straftaten, bei denen den Opfern erheblicher körperlicher Schaden zugefügt wurde. „Die vorangegangenen, erfolglosen Ermittlungen haben in großem Maße Personal gebunden, das man hätte anders einsetzen können“, sagt Lenders.

Die Polizei sieht keinen Handlungsspielraum. „Wir entscheiden nicht, ob ein Foto veröffentlicht wird“, sagt Hauptkommissar Andreas Schöpflin. Das ist Sache eines Richters. Den entsprechenden Antrag stellt die Staatsanwaltschaft. „Das Gesetz regelt das Vorgehen“, sagt Wilhelm Möllers, Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Es müssen alle anderen Ermittlungsansätze erschöpft sein.“ Das dürfte Auslegungssache sein. Eine Öffentlichkeitsfahndung ist nach Paragraf 131b der Strafprozessordnung zulässig, wenn „die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre“.

Mopo: „Die Bewachung ist illegal“

Der Senatsplan schockiert die Polizei. Joachim Lenders, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, schimpft: „Die Politik missbraucht die Polizei, um auf illegalem Wege die Rechtsprechung auszuhebeln. Für die Bewachung gibt es keine Rechtsgrundlage!“

Das weiß auch der Senat. Es ist ihm aber egal – solange kein Richter die Bewachung verbietet. Die maximale Sicherheit der Bürger gehe vor. Lenders sagt: „Entweder die Straftäter sind psychisch gestört und hochgefährlich – dann muss und kann man sie einsperren. Oder sie sind es nicht – dann muss man sie wie alle anderen Ex- Häftlinge einfach frei lassen.“ Lenders bezeichnet es zudem als „utopisch, dass 40 Beamte zur Sicherung ausreichen“.

Die GAL unterstützt den Kurs des Senats. Die CDU will vom Senat detailliert wissen, wieso ausgerechnet Jenfeld ausgewählt wurde. Die Täter mussten nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entlassen werden, weil die Sicherungsverwahrung für sie erst nachträglich angeordnet wurde.

Bild: Anwohner gegen Sicherungsverwahrte in Jenfeld

Die Bürger fühlen sich übergangen! Auf einem Altenheim-Gelände in Jenfeld sollen noch im Dezember drei ehemals sicherungsverwahrte Schwerstkriminelle (ein Totschläger, zwei Vergewaltiger) unterkommen. 40 Polizisten bewachen die Männer rund um die Uhr. Kosten: 2,5 Millionen Euro/Jahr.

Anwohner Ralf Sielmann (66) ist besorgt: „Warum hat uns keiner gefragt?“ Und das alles wegen eines Urteils aus Straßburg…

BILD beantwortet die wichtigsten Fragen!

• Wie wohnen die Ex-Verbrecher? Im ersten Stock des Hauses gibt es vier Wohnungen (40 Quadratmeter, zwei Zimmer, Küche, Bad, Linoleum, Holzmöbel). Im Erdgeschoss ist ein Aufenthaltsraum mit Billardtisch. Die Miete übernimmt das Amt, da die Bewohner sie nicht aufbringen können.

• Gibt es dort einen Wohn-Zwang? Joachim Lenders (49), Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Die Männer sind frei, für sie gilt die freie Wahl des Wohnorts. Sie können jederzeit ausziehen und sich woanders niederlassen.“

• Warum Jenfeld? Laut Justizbehörde war ausschlaggebend, dass A 24 und Helmut-Schmidt-Uni in der Nähe sind – also weniger Anwohner. Hier gibt es auch wenige Kinder-Einrichtungen. Weil eine Kita in der Nachbarschaft entsteht, sucht die Stadt jetzt schon Alternativen.

• Warum ist das Problem nicht längst gelöst? Unklar! Der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg entschied schon Ende 2009, dass das deutsche System der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechte verstößt. Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek (37, SPD) ist für eine Kooperation der Nordländer, die Geld sparen würde, es fehlt aber immer noch eine Einigung.

Pfefferspray ohne Alternative

Angriff auf Polizisten gehören heute zum traurigen Alltag der Beamten. Bei Demonstrationen werden sie mit Schlagstöcken angegriffen, in Fußballstadien mit Steinen und Bierflaschen beworfen, in Bussen und S-Bahnen mit Fäusten attackiert. Insgesamt wurden hamburgweit 984 Polizisten angegriffen, mehr als 300 dabei verletzt – das besagt eine Statistik aus dem Jahr 2010.

Auch im Landkreis Harburg häufen sich solche Vorfälle insbesondere durch Personen, die unter Alkohoholeinfluss stehen. Oft hilft den Beamten nur noch ein Mittel, um sich zu schützen: der Einsatz von Pfefferspray.

Genau den aber wollen Politiker der Linken jetzt stark beschränken. Die Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke: „Pfefferspray ist eine gefährliche – unter Umständen tödliche – Waffe.“ Als Begründung führt sie unter anderem an: Wenn Reizgas bei Personen eingesetzt werde, die unter Asthma oder Allergien leiden, könne es gefährlich werden. Riskant sei es auch bei Personen, die Psychopharmaka, Drogen nehmen oder eine Herz-Kreislauf-Schwäche haben. „Bei diesen Personen kann der Pfefferspray-Einsatz einen Schock auslösen“, sagt Jelpke.

Diese Risiken sind natürlich auch Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Hamburg, bekannt. Eine Einschränkung des Reizgas-Einsatzes stößt beim ihm auf völliges Unverständnis. Sein Argument: „Pfefferspray ist für die Polizei unverzichtbar und alternativlos.“ Lenders verweist dabei auf Einsätze der Beamten bei Großeinsätzen, etwa im Hamburger Schanzenviertel oder bei Fußballspielen des HSV. Dort käme es immer wieder zu Übergriffen auf die Ordnungshüter. Ähnlichen Auseinandersetzungen sehen sich viele Polizisten auch bei Einsätzen im Zusammenhang mit Partys oder Schlägereien in Gaststätten ausgesetzt. In solchen Situationen hilft den Beamten oft nur der Griff zur Pfefferspraydose, um einen Angreifer abzuwehren und ihr Leben zu schützen. Ein Beamter gegenüber den HAN: „Es ist gut, dass wir mit dem Reizgas etwas haben, das wir einsetzen können, um nicht zur Waffe greifen zu müssen.“ Und auch Lenders bekräftigt: „Auf Pfefferspray zu verzichten, wäre die dümmste Lösung.“

Reiterstaffel der Polizei vor dem Aus vom 24.11.2011

SPD will Notwendigkeit des Prestigeprojektes überprüfen – Bürgerschaft debattiert den Haushalt der Innenbehörde

Selbst die CDU hält nicht mehr an der berittenen Polizei in Hamburg fest

FDP kann sich mit ihrem Antrag zur Evaluation in der Bürgerschaft durchsetzen

Berittene Polizei beim Einsatz in Hamburg – dieses Bild könnte schon bald wieder Vergangenheit sein. Die SPD hat in der Bürgerschaft einen Antrag der FDP beschlossen, nach dem Effektivität und Kosten der Staffel kritisch geprüft werden sollen. Erst im September 2010 waren die neun Pferde in den Polizeidienst übernommen worden. Laut dem Antrag soll nun „die politische Frage, ob Hamburg einer Reiterstaffel der Polizei bedarf, umfassend untersucht“ werden. Allerdings laufen im Moment die Verträge noch fort: Nicht nur die Ställe sind angemietet oder Verträge mit Tierärzten geschlossen worden, selbst für die Pferde laufen „Leasingverträge“. „Diese Staffel haben wir geerbt“, sagt SPD-Innenexperte Arno Münster, aber vor Herbst 2012 könne wegen der laufenden Verträge keine Entscheidung getroffen werden.

Die GAL ist da entschiedener: Sie hatte einen Antrag eingebracht, laut dem schon Ende Dezember Schluss mit der Reiterstaffel sein solle. Diese könne ihre polizeiliche Notwendigkeit nicht nachweisen, meint GAL-Innenexpertin Antje Möller. Die Staffel belaste den Haushalt aber nach Investitionskosten in Höhe von 400 000 Euro nunmehr mit laufenden Kosten von 700 000 Euro im Jahr. Dabei seien ihre Einsatzmöglichkeiten begrenzt. Zustimmung fand der GAL-Antrag dennoch nicht. Aber SPD-Fraktionschef Andreas Dressel hatte schon am ersten Tag der Haushaltsberatungen mit Blick auf die Reiterstaffel festgestellt, dass „reale Fortschritte bei der Kriminalitätsbekämpfung wichtiger sind als Showprojekte der Polizeiführung“.

Überraschend will auch die CDU, unter deren Senatsführung die Reiterstaffel erst wieder eingeführt worden war, diese jetzt kritisch prüfen. „Meine Zweifel sind ausgeprägt“, sagt der Innenexperte der Unionsfraktion, Kai Voet van Vormizeele. Mit acht Pferden sei diese Staffel zu klein, um sinnvoll eingesetzt zu werden. Man müsste sie also entweder ausbauen, wie etwa in München, wo bis zu 30 Pferde zur Staffel gehören. Dies wäre dann aber auch mit drei bis vier Mal so hohen Kosten verbunden. Oder man müsste sich „auf Dauer davon trennen“. Der Punkt Reiterstaffel wurde nach dem Willen der SPD aus dem Gesamtantrag der Liberalen herausgelöst, weil man zu den übrigen Teilen, in denen etwa die Überstunden bei der Polizei, die Feuerwehrausbildung oder das Polizeiorchester thematisiert wurden, keine Übereinstimmung habe, wie Münster erklärte. Die Innenbehörde betonte, dass die Staffel „ergebnisoffen“ geprüft werden solle.

Bei der Polizei ist die Reiterstaffel auf Akzeptanz gestoßen. In der Zukunft, so jetzige Planungen, sollen die Polizeireiter vermehrt bei Demonstrationen eingesetzt werden. Darüber hinaus bewährte sich die Reiterstaffel als Sympathietruppe der Polizei, so wie bei Hamburgs größtem Laternenumzug in Harburg, wo die Polizeipferde Eltern und Kinder entzückten. Für Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, ist die Diskussion um die Reiterstaffel ein „Stück aus Absurdistan“. „Die GAL, die die Reiterstaffel als Koalitionspartner in der alten Regierung mit eingeführt hat, stellt sie jetzt infrage. Die SPD muss wissen, dass die Reiterstaffel nicht so einfach abgeschafft werden kann.“ Dazu komme, dass die teure Ausbildung von Pferden und Reitern sowie Anschaffungskosten für Uniformen oder Sättel gerade erst durchgeführt wurden. „Solche kostspieligen Anschaffungen sollten kein politischer Spielball sein. Die Politik hat die Reiterstaffel unbedingt gewollt.“

Die Debatte am Mittwochabend drehte sich aber nicht nur um die Polizeistaffel, sondern um alle Aspekte des 925,4 Millionen Euro starken Haushalts der Innenbehörde. Innensenator Michael Neumann (SPD) zog eine positive Bilanz der vergangenen Regierungsmonate, kritisierte aber den vom Vorgängersenat aufgestellten Innenhaushalt, der keine echten Sparanstrengungen beinhaltete. Neumann widmete sich weiter den Gefahren des Rechtsextremismus und in puncto Aufklärung dem „Abgrund von Staatsversagen“.

Hier setzte auch die Kritik der GAL an, die große Versäumnisse bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus ausmachte: Das Landesprogramm sei bei Weitem finanziell nicht richtig ausgestattet. Hier müsse man mehr Mittel bereitstellen, statt es in „Prestigeprojekten zu verpulvern“, wozu die GAL neben der Reiterstaffel das Polizeiorchester zählt.

BILD: Bauwagen-Platz wird geräumt

Gericht weist Klage ab

Rückendeckung für Bezirkschef

Genugtuung für Mitte-Bezirkschef Markus Schreiber (SPD): Das Verwaltungsgericht wehrt die Klage der Bauwagen-Besetzer gegen ihre Räumung ab –  und die Politik solidarisiert sich mit ihm gegen ihre Räumung ab – und die Politik solidarisiert sich mit ihm gegen Anfeindungen aus dem linksautonomen Lager.

Am Wochenende war die Situation auf einer Demo eskaliert. Chaoten hängten eine Schreiber-Puppe am Galgen auf (BILD berichtete). Empörung überall! Schreibers Eimsbütteler Amtskollege Torsten Sevecke (SPD): „Unfassbar, wie politische Debatten inzwischen personalisiert werden.“

„Die geschmacklosen Drohungen gegen Markus Schreiber sind inakzeptabel. Sachliche Kritik darf niemals in persönliche Bedrohungen umschlagen“, so FDP-Fraktionschefin Katja Suding.

Joachim Lenders, Chef der Polizeigewerkschaft DPolG: „Schreiber setzt sich für Recht und Ordnung ein. Ich stelle mich an seine Seite.“

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan: „Auch wenn ich die politischen Ansichten von Schreiber in vielen Punkten nicht teile, halte ich Drohgebärden, die sich gegen Familie richten, für inakzeptabel.“ Kurz nachdem das Verwaltungsgericht gestern den Eilantrag gegen die Räumungsverfügung abschmetterte, legte die Gruppe Beschwerde ein. Gerichtssprecherin Susanne Walter: „Jetzt ist das Oberverwaltungsgericht dran.“

Nur die Linke ignoriert das Gerichtsurteil, wirft Schreiber weiter „Ausgrenzung und Vertreibung“ vor und fordert seinen Rücktritt. Die Abgeordnete Heike Sudmann: „Das wäre die nachhaltigere Problemlösung.

„Zum Abschuss freigegeben“

Nach Freispruch liegen bei der Polizei die Nerven blank

Mit Fassungslosigkeit hat nicht nur die Deutsche Polizeigewerkschaft auf das am 3. November gefällte Urteil des Bundesgerichtshofes reagiert, mit dem ein Mitglied der Rockerbande „Hells Angels“ aufgrund irrtümlich angenommener Notwehr freigesprochen worden ist. Der Rocker hatte im März 2010 einen Beamten durch eine geschlossene Tür erschossen und war danach zunächst zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Harburg. „Offensichtlich geht die Justiz davon aus, dass beim Zusammentreffen rivalisierender Rockerbanden der Einsatz brutalster Gewalt an der Tagesordnung und von den Richtern gedeckt ist“, sagt Klaus Vöge, stellvertretender Vorsitzender der Hamburger Polizeigewerkschaft. Vöge unterstrich gestern im HAN-Gespräch, dass in der Gesellschaft offenbar ein zunehmender Werteverlust stattfinde: „Der Respekt gegenüber der Staatsmacht Polizei tendiert mittlerweile gegen Null“, sagt der 52-Jährige, der sich um die Belange der uniformierten Kollegen in den Polizeikommissariaten im gesamten Süderelbe-Raum und in Bergedorf kümmert.

Seiner Meinung nach waren Polizisten früher Autoritäten. „Doch die Distanz und der Respekt sind verloren gegangen“, so Vöge. Trotz der guten Ausbildung der Beamten führe diese Entwicklung zu einem höheren Risiko bei den Einsätzen. Vöge: „Stichwort Reeperbahn – trotz großer Polizeipräsenz ist die Aggressivität einzelner Personen unglaublich.“

Während auf der einen Seite die Bedingungen im Job immer schwieriger werden – Stichworte: Stellenabbau, Bezahlung und Einsatzzeiten -, seien „Skandal-Urteile“ – zu denen für ihn auch der Freispruch für „Beamtentreter“ Amor S. aus Neuwiedenthal zählt – mittlerweile an der Tagesordnung. Vöge: „Diese Urteile senden ein schlimmes Signal an die Polizei und die Bürger in Deutschland. Unsere Polizisten fühlen sich einmal mehr zum Abschuss freigegeben.“

Seine Forderung: „Grundsätzlich keine härteren Strafen, sondern das vorhandene Strafmaß ausschöpfen. Bei Gewaltdelikten gegen Polizei und andere Staatsdiener sollte das Strafmaß aber verschärft werden.“ Bei derartigen Delikten – hierzu gehören auch Angriffe auf die Feuerwehr, die bei Einsätzen behindert und sogar angegriffen wurde – sollten die Täter härter bestraft werden als ein gewöhnlicher Ladendieb: „Denn das ist derzeit nicht der Fall.“ Des Weiteren spricht sich Vöge dafür aus, dass von der Festnahme eines Täters bis zu seiner Verurteilung nicht so viel Zeit verloren gehen dürfe. „Wünschenswert wären schnelle und zeitnahe Verfahren. Der Justizapparat muss schneller arbeiten.“

Ein weiterer Knackpunkt für Vöge sind die Einsparungen bei der Personalstärke: „Die Polizei ist heute eine reine Einsatzpolizei – Kriminalitäts-Abschreckung durch Präsenz spielt heute keine Rolle mehr“, sagt Vöge, und: „Wenn einer aggressiven Jugendgang zwei Polizisten gegenüberstehen, werden wir doch nur ausgelacht. Deshalb lautet eine unserer Forderungen: Mehr Personal für die Polizei!“ Die Täter hätten außerdem keine Angst, gefasst zu werden, weil die Anfahrtswege oft viel zu lang seien: „Wenn die Wache 20 Minuten vom Einsatzort entfernt liegt, sind die Täter oft schon über alle Berge, wenn die Beamten eintreffen.“

Eine Patentlösung hat Vöge auch nicht parat. Allerdings: „Die Weichen für das spätere Leben werden im Elternhaus gestellt. Bereits hier müssen die Kinder die richtige moralisch-soziale Einstellung vermittelt bekommen.“

Das sagen Polizisten zu dem Skandal-Urteil

Ganz Deutschland diskutiert über den Freispruch für den Polizisten-Killer – und auch in den deutschen Polizeipräsidien gibt es derzeit kaum ein anderes Thema. BILD sprach mit fünf Kommissaren über das Urteil, dokumentiert ihre Meinungen.

„Das Urteil gibt uns zum Abschuss frei!“

Polizeikommissar Thomas Jungfer (40, Mitglied der DPolG) aus Hamburg: „Dieses Urteil ist ein Schlag ins Gesicht. Es ist, als würden wir Polizisten zum Abschuss freigeben! Was wäre gewesen, wenn es nicht der SEK-Mann, sondern ein Nachbar oder Postbote gewesen wäre?!“

 „Vermutlich wird künftig ähnlich entschieden“

Polizeihauptkommissar Hermann Lentfort (53) aus Münster (NRW): „Das Urteil halte ich persönlich für sehr bedenklich. Es ist zu befürchten, dass künftig ähnlich entschieden wird. Aber wie sollen wir Polizisten wissen, dass sich das Gegenüber in einer Notwehr- Situation glaubt?“

„Wir können alle in eine solche Situation kommen“

Erster Polizeihauptkommissar Timo Principi (42) aus Stuttgart: „Die sogenannte Putativ-Notwehr gibt es sehr wohl. Aber hier scheint es so, als ob ohne Rücksicht auf Verluste wie im US-Krimi durch die Tür geschossen wurde. Das Urteil bestürzt uns, weil wir alle in eine solche Situation kommen können.“

„Jetzt kann sich ja jeder auf Notwehr berufen“

Walter Einwag, 63, Polizeihauptkommissar aus Ebern (Bayern): „Nach diesem Urteil kann sich ja künftig jeder auf Notwehr berufen! Es ist demotivierend und frustrierend. Ich weiß nicht, ob man da im Dienst noch etwas riskiert. Man weiß doch nie, in welche Situation man kommt.“

„Das Gericht musste so handeln“

Mirko Petters (35), Polizeioberkommissar aus Dresden: „In erster Linie mag das Urteil unverständlich erscheinen. Obwohl es schrecklich ist, was passierte, ist die ausformulierte Begründung des BGH dennoch nachvollziehbar. Das Gericht konnte zu keinem anderen Urteil gelangen.“